In der Schweiz leben 2 Millionen Menschen ohne Schweizer Pass. Die Hälfte von ihnen erfüllt alle formalen Kriterien für eine Einbürgerung. Migrationsexperte Walter Leimgruber erklärt, warum viele Menschen diesen Schritt nicht machen.
Walter Leimgruber
Präsident Eidgenössische Migrationskommission
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Walter Leimgruber ist Leiter des Seminars für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie an der Universität Basel sowie Präsident der Eidgenössischen Migrationskommission (EMK). Die EMK ist eine ausserparlamentarische Kommission mit 30 Mitgliedern. Sie berät Bundesrat und Verwaltung in Migrationsfragen.
SRF: Man liest immer wieder, der Schweizer Pass sei einer der «wertvollsten Pässe der Welt». Stimmt das?
Walter Leimgruber: Es gibt Rankings, die den Wert eines Passes ermitteln wollen. Sie berechnen, in wie viele Länder man damit ohne Visum einreisen kann. Da liegt die Schweiz seit Jahren auf einer Spitzenposition. Weit vorne sind aber aktuell auch Länder wie Japan, Singapur oder Südkorea. Das Gewicht verlagert sich nach Asien, da sieht man eine Tendenz in der Weltpolitik.
Wer einen Schweizer Pass haben will, muss lange warten und ein kompliziertes Verfahren durchlaufen. In anderen Ländern geht das schneller und einfacher. Warum?
Das hat mir unserer Mentalität und unserem politischen System zu tun. Wir sind eine eher beharrende, behäbige Gesellschaft. Menschen, die von aussen kommen, brauchen viel Energie und Zeit, bis sie akzeptiert werden. Und es hat mit dem Föderalismus zu tun. Bei uns sind die Gemeinden für die ordentliche Einbürgerung zuständig. Für sie ist es wichtig, darüber entscheiden zu dürfen, wer in einer Gemeinde leben und mitbestimmen darf und wer nicht.
Über 2000 Wege zum Schweizer Pass
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Für die Einbürgerung von AusländerInnen sind in der Schweiz die Gemeinden zuständig. Da die Schweiz 2202 Gemeinden hat, gibt es auch 2202 verschiedene Wege zum Schweizer Pass. Wichtig sind zwei Arten der Einbürgerung:
Die Ordentliche Einbürgerung: Wer seit 10 Jahren in der Schweiz wohnhaft ist, über eine Niederlassungsbewilligung (C) verfügt, «erfolgreich integriert» ist und «keine Gefährdung für die innere oder äusseren Sicherheit» darstellt, darf sich einbürgern lassen.
Die Erleichterte Einbürgerung: Dafür ist der Bund zuständig. Von der erleichterten Einbürgerung sollen vor allem ausländische Ehepartner von Schweizerinnen oder Schweizern sowie Kinder eines schweizerischen Elternteils, welche das Schweizer Bürgerrecht noch nicht besitzen, profitieren.
Ist dieser Prozess der Grund, dass viele der Ausländer und Ausländerinnen, die in der Schweiz leben, den Pass nicht beantragen?
Das ist sicher ein wichtiger Grund. Gerade junge Menschen, die auch von der erleichterten Einbürgerung profitieren könnten, haben wenig Spass an bürokratischen Prozessen. Wir sehen aber auch, dass Personen aus Ländern, die der Schweiz ähnlich sind, sich nicht so häufig einbürgern lassen. Deutsche oder Franzosen haben nicht viel davon. Und es ist eine Frage des Geschlechts. In zwei Ländern Militärdienst leisten zu müssen, ist für viele Männer nicht nur ein reines Vergnügen.
In der Schweiz gibt es 2202 Gemeinden und folglich 2202 verschiedene Einbürgerungsverfahren. Droht da nicht die Willkür?
Willkür ist ein starkes Wort. Innerhalb einer Gemeinde sind die Verfahren wahrscheinlich schon einigermassen homogen. In der Nachbargemeinde können dann aber schon ganz andere Kriterien gelten. Von daher wird die Grundforderung der Gleichbehandlung nicht erfüllt.
Was sagen die Gemeinden zum Einbürgerungsprozess?
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Die Einbürgerungen sollten dort stattfinden, wo die Menschen lebten und integriert würden, sagt Christoph Niederberger, Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands. Für die Gemeinden sei es wichtig, «im persönlichen Kontakt mehr über Personen und die Beweggründe für eine Einbürgerung zu erfahren.» Für willkürlich hält er den Einbürgerungsprozess nicht. «In vielen Gemeinden entscheiden politisch und gesellschaftlich breit aufgestellte Einbürgerungskommissionen – von der Bevölkerung gewählte Gremien – abschliessend über die Gesuche.» Ihre Entscheide beruhten auf ordentlichen Rechtsgrundlagen.
Wie liesse sich eine solche Gleichbehandlung herstellen?
Durch Transparenz. Wir bräuchten statistische Grundlagen und müssten einen Ablauf definieren, wie der Einbürgerungsprozess aussehen soll und wie lange er dauern darf. Personen, die sich einbürgern lassen wollen, müsste man klar sagen, welche Anforderungen sie erfüllen müssen. Für mich steht fest: Sie brauchen ein Grundwissen darüber, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Wann Buslinie X in der Gemeinde Y eingeführt wurde, ist keine solche Grundanforderung.
Der Pass ist heute Symbol für die Staatsbürgerschaft einer Person. Seit wann ist das so?
Das ist interessanterweise eine neuere Entwicklung. Pässe wurden ursprünglich als reine Reisedokumente ausgestellt. Das sieht man noch am Begriff «Passe-port». Das Dokument gab einem das Recht zur Ausreise, Durchreise oder Einreise. Damit wollte man gewisse Personen auch am Ausreisen hindern – zum Beispiel, um der Abwanderung von Arbeitskräften oder Steuerausfällen vorzubeugen. Und man wollte mit einem Pass sicherstellen, dass man an einem anderen Ort auf der Welt willkommen war. Dass der Pass gleichbedeutend mit einer Staatsbürgerschaft ist, ist ein Phänomen des modernen Nationalstaats seit dem 19. Jahrhundert.
«Gib Pass!»: Was rund um die Themenwoche bei SRF lief
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Auf Radio SRF 3 haben Eingebürgerte und Nicht-Eingebürgerte eine Woche lang von ihrem verrückten Weg zum Schweizer Pass erzählt. Zu Wort gekommen sind unter anderem der eingebürgerte Schweizer Fussballnatispieler Josip Drmić, Gemeindemitarbeiterin Manuela Lehmann aus Ehrendingen/AG oder die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch, die sich für erleichterte Einbürgerung einsetzt. Kopf und Stimme der Aktion war SRF 3-Moderatorin Rika Brune.
Gast in der Sendung «Focus» auf SRF 3 war DEZA-Chefin Patricia Danzi. Mitten in der Corona-Krise trat sie den Posten zur ersten Chefin des Bundesamtes für Entwicklung und Zusammenarbeit an.
In der Sendung «Input» debattierten Menschen mit Migrationshintergrund über den Wert des Schweizer Passes. Während für Offizier Janko ist klar ist, dass die Schweizer Staatsbürgerschaft ihn komplett gemacht hat, ist und bleibt Radiomoderator Paolo Italiener. Mitbestimmen könne er auch so.
DOK hat in einer 4-teiligen Serie auf TV SRF 1 Einbürgerungswillige aus allen vier Landesteilen auf ihrem steinigen Weg zur Schweizer Staatsbürgerschaft begleitet. Online gibts alle Teile hier.
Und es gab ein Wiedersehen mit dem Kultfilm «Die Schweizermacher» von Rolf Lyssy. Darin mischt sich das Beamtenduo Emil Steinberger und Walo Lüönd ins Privatleben einbürgerungswilliger Ausländer ein. Den Film gibts bis am 21.11.2021 in der SRF Play App.
Das eigene Wissen spielerisch testen, funktioniert nach wie vor: im Einbürgerungsquiz von Radio SRF 3.
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