Was tun, wenn ein einstiges Fussballstadion nicht mehr fürs Tschutten gebraucht wird? Einfach kreativ Umnützen und das in allen erdenklichen Facetten! «Gurzelen» in Biel ist ein Paradebeispiel, wie man in einer Stadt einen Mikrokosmos gestalten kann, der den Menschen Raum gibt, verschiedenen Faszinationen und Interessen auszuleben.
Wo früher gekickt wurde, wird heute gepflanzt
Verschiedene kreative Menschen machen aus dem alten Stadion ein Biel in Kleinformat. Von einem Fussballplatz hat es sich zu einem Begegnungsort für kreative Tätigkeiten und kulturelle Events entwickelt. Wo früher gekickt wurde, wird heute beispielsweise gekocht, geskatet, gerutscht, geprobt und auch fleissig gepflanzt.
Hier nur ein paar der wenigen Beispiele, was auf der «Gurzelen» kreiert wird:
Als ich hierhergekommen bin, bin ich aufgeblüht – quasi zusammen mit den Pflanzen.
«langSAMEr» steht für solidarische Landwirtschaft und ist ein Betätigungsfeld für Menschen in belastenden Lebenssituationen. Christian Garrard ist einer der Personen hinter dem Projekt. Er ist selber IV-Bezüger und musste lange seinen Alltag in einem Atelier bewältigen. «Als ich hierher kam, da bin ich aufgeblüht – quasi zusammen mit den Pflanzen.»
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Tofu aus Biel
Neben regionalem Gemüseanbau gibt es auch Platz für exotischeres. Beispielsweise wird künftig asiatischer Gaumenschmaus auf der «Gurzelen» produziert. «Hier wird in einem Strohhaus – ein nachwachsender Rohstoff mit guten Isolationseigenschaften – Tofu aus Biel produziert», erklärt Mathias Rutishauser, Vorstandsmitglied des Vereins «Terrain Gurzelen».
Eine Zwischennutzung ohne Grenzen
Der Fantasie sind laut Rutishauser keine Grenzen gesetzt. «Hier treffen zwei Welten aufeinander. Einerseits haben wir in der Nachbarschaft Weltmarken die in Millionenhöhe Neubauten errichten, andererseits haben wir die «Gurzelen», ein Do-it-Yourself-Zwischennutzungsprojekt. Das ist typisch Biel.»
Viel Bieler Liebe für die «Gurzelen»
Die Zwischennutzung findet grossen Anklang. Das Projekt, welches eigentlich bis 2019 bewilligt war, wurde bereits unbefristet verlängert. Die verschiedenen Projekte und Angebote stossen auf grosses Publikumsinteresse von Jung und Alt. Das zeigt: Die Bielerinnen und Bieler lieben ihre «Gurzelen». Deshalb funktionieren auch Projekte, an welchen sich alle beteiligen müssen. Wie zum Beispiel dieser Kleidertausch-Schrank hier, so Rutishauser.
Gratis skaten und Tennis spielen
Getauscht wird von Schuhen in allen Grössen, über Kleider, Jacken bis hin zu Velohelmen alles. Wer Glück hat, findet auch mal ein altes Skateboard, das gleich nebenan zum Einsatz kommen kann. Denn es wäre ja ein Jammer. Wenn auf dem ehemaligen Fussball-Areal nicht auch ein wenig Sport zum Zug käme. «Wir haben hier die grösste Skate-Rampe im Kanton Bern» , sagt Lars Sinniker, einer der drei Initianten der öffentlichen Skate-Anlage Gurzelen.
Wir haben hier die grösste Skate-Rampe im Kanton Bern.
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Neben dem Brett unter den Füssen wird auch der Schläger nicht vergessen. Auf der «Gurzelen» steht der laut Matthias Rutishauser schweizweit einzige öffentliche Tennis-Rasenplatz. Der Tennisplatz ziehe Menschen aus allen Richtungen an. Vom Immobilienmakler, über den Nachwuchs-Tennisstar bis hin zur Kindergärtnerin treffe man hier alle an.
Ebenso die verschiedenen Bands, die in den Innenräumen des Stadions ihre Proben abhalten. «Stude» von der Band «Studeyeah» findet vor allem die Kombinationsmöglichkeiten auf der «Gurzelen» toll: «Wir spielen hier zuerst Tennis auf dem Rasenplatz und gehen nachher in den Bandraum unter der Bühne um zu proben.» In vier Proberäumen üben mindestens zehn Formationen in allen erdenklichen Musikrichtungen.
Früh übt sich
Apropos üben und proben: Das Projekt «Kinderbaustelle» ist ein Mitmach-Freizeitangebot für die ganze Familie. Kinder ab der ersten Klasse können auf dem betreuten Bauplatz kostenlos mit unterschiedlichen Baumaterialien bauen und gestalten.
Politisiert wird ebenfalls
Nicht nur den Kleinen sind kaum Grenzen gesetzt. Auch den Grossen. In Sachen Politik kann die «Gurzelen» nämlich ebenfalls mithalten. Unter dem Projekt «La Bise» wird in Biel, einer der wenigen Schweizer Städte mit einer Frauenmehrheit in der Regierung, dem «Ökofeminismus» nachgegangen. «La Bise» stellt insbesondere Bücher für Interessierte in ihrer «BiblioBise» zur Verfügung. Als «Ökofeminismus» werden soziale und politische Bewegungen und Philosophien bezeichnet, die ökologische Fragen und Anliegen mit feministischer Analyse verbinden. Für Sarah, der Mitgründerin von «La Bise» ist die «Gurzelen» mitunter wegen ihrem Projekt, ein unglaublich lebendiger und wichtiger Ort für Biel.
So soll es vorerst auch bleiben. Trotzdem: Das 1913 erbaute Stadion «Gurzelen» wird in naher Zukunft einer Überbauung weichen müssen. Bis diese allerdings kommt, ist das altehrwürdige Stadion ganz in Hand der kreativen Bielerinnen und Bielern.