Am 8. August 1964 spielt im holländischen Scheveningen eine aufstrebende, junge Band namens The Rolling Stones ihr erstes Konzert in den Niederlanden. Die Show endet im Tumult, Fans klettern auf die Bühne, werden von uniformierten Polizisten zurück in den Saal geschubst und gestossen. Chaos total – Konzertabbruch. Man kann dieses Konzert vor bald 60 Jahren als Ursprungsmoment des Stagediving betrachten.
Iggy Pop: Von Jim Morrison abgeguckt
Auch The-Doors-Sänger Jim Morrison war eine Art prähistorischer Stagediver. Morrison sprang oder stürzte mitunter von der Bühne ins Publikum – die Grenzen waren hierbei oft fliessend. Bei einem desaströsen Konzert 1967 an der Universität Michigan fiel er im Drogenrausch mehrmals von der Bühne.
Im Publikum stand damals ein junger Mann namens Jim Osterberg – heute besser bekannt als Iggy Pop. Beeindruckt von Morrisons eigentümlichem Auftritt, dachte dieser: Das kann ich auch. Und so machte Iggy Pop mit seiner Band The Stooges ein paar Jahre später den Sprung ins Publikum zum Bühnenritual.
No Future, no Stars!
Wenn der Star plötzlich durchs Publikum surft, wieso soll der Fan nicht auch gleich auf die Bühne? Mit Punk lösten sich ab Mitte der 1970er Jahre die Hierarchien zwischen Star und Fussvolk immer mehr auf – No Future, no Stars!
Und je populärer die Punkszene wurde, desto mehr körperliche Rituale setzten sich durch: Pogo, Crowdsurfing und später auch die sogenannte Wall of Death – zwei Fanreihen, die schlachtartig aufeinander zurennen.
Wall of Death: Auf in die Schlacht
Diese oft gewalttätigen Szenen wurden mit dem US-Hardcore zu fast reinen Männerritualen. Grunge und Alternative Rock holten das Stagediving anfangs der 90er jedoch raus aus der Macho-Ecke – und auch Frauen wagten den Sprung von der Bühne.
Und so gilt Stagediving heute auch als solidarischer Akt. Man trägt sich gegenseitig über die Köpfe hinweg und lässt sich möglichst nicht fallen.
Spital statt Aftershowparty
Doch der Sprung von der Bühne bleibt eine Mutprobe und Verletzungen beim Stagediving sind keine Seltenheit. Der Schweizer Comedian Dominic Deville zog sich bei einem Konzert seiner Punkrock-Band in Berlin nach einem Sprung von der Bühne ernsthafte Verletzungen zu.
2014 musste die Band Fishbone einer Frau 1,4 Millionen US-Dollar Schmerzensgeld bezahlen. Diese hatte sich einen Schädelbruch zugezogen, weil Sänger Dr. Madd Vibe auf sie sprang. Im Solothurner Club Kofmehl starb ein Schweizer Fan gar an den Folgen eines Stagediving-Unfalls bei einem Hardcore-Konzert.
Trotz dieser Gefahren hat sich Stagediving heute bei Punk-, Hip-Hop-, Metal- und Rockkonzerten etabliert. Die Gefahr, dass ein Stagediver auf einem landet, ist in den hinteren Reihen zwar relativ gering, aber immer noch grösser als beim Einkaufen oder beim Zahnarzt.