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Sommerserie 2020 Rendez-vous im Dialog mit der Welt: Italien und Spanien

Italien und Spanien – zwei Mittelmeer-Anrainerstaaten mit vielen Gemeinsamkeiten und ähnlichen Sorgen. Und doch unterscheiden sich die Länder in vielerlei Hinsicht. Italien-Korrespondent Franco Battel und Melanie Pfändler, in der Ausland-Redaktion für Spanien zuständig, gehen dem auf den Grund.

Gemeinsam für die Anliegen des europäischen Südens?

Giuseppe Conte und Pedro Sánchez im Gespräch.
Legende: Südeuropäische Solidarität: Die Ministerpräsidenten Italiens und Spaniens, Giuseppe Conte und Pedro Sánchez, haben einen Draht zueinander. Keystone/SDA

Italien und Spanien kämpfen mit ähnlichen Problemen. Vor allem wirtschaftliche Sorgen treiben die beiden Mittelmeer-Anrainerstaaten um – nach der Finanzkrise von mehr als einem Jahrzehnt ebenso wie derzeit wegen der Corona-Pandemie.

Man müsste meinen, die beiden Länder würden sich deshalb verbünden und Schulter an Schulter bei der Europäischen Union für die Anliegen des Südens kämpfen. Doch eine eng koordinierte Politik fehlt weitgehend.

Italien interessiere sich nur «mässig» für Spanien, sagt Italien-Korrespondent Franco Battel. Spanien wolle nun aber die bilateralen Beziehungen intensivieren, sagt Ausland-Redaktorin Melanie Pfändler. Die Zeichen stehen gut, denn in beiden Ländern sind Regierungen mit einer ähnlichen politischen Couleur an der Macht, was eine systematischere Zusammenarbeit erleichtern dürfte. Italiens gegenwärtiger Ministerpräsident Giuseppe Conte und sein spanischer Amtskollege Pedro Sánchez haben einen Draht zueinander.

Während der Migrationskrise 2015 waren in Italien und Spanien unterschiedliche politische Kräfte an der Macht, weshalb die südeuropäische Solidarität nicht gespielt hat.

Gesellschaftspolitisch ist Spanien liberaler als Italien

Regenbogenfahnen in einer Strasse in Málaga.
Legende: Ehe für alle: Spanien ist offener als Italien – Regenbogenfahnen in einer Strasse in Málaga. Keystone/SDA

Trotz kultureller Nähe: Gesellschaftspolitisch ticken Italien und Spanien anders. Bei umstrittenen Fragen wie der Abtreibung, der Sterbehilfe oder der gleichgeschlechtlichen Ehe ist Spanien offener und liberaler. Italien ist konservativer, traditioneller. Sogar im progressiven Lager sei der Einfluss der katholischen Kirche gross, sagt Italien-Korrespondent Franco Battel.

Das zeigt sich auch bei der Stellung der Frau in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wobei in Spanien – trotz einer Regierung, die sich selber als «feministisch» bezeichnet – die Gewalt gegen Frauen im Zuge der Corona-Pandemie markant zugenommen hat, wie Ausland-Redaktorin Melanie Pfändler schildert. Generell hat die Corona-Krise mit ihren schweren Folgen in den beiden Ländern gesellschaftspolitische Fragen weitgehend aus der Aktualität und dem politischen Alltag verdrängt.

Wenig Vertrauen in den Staat

Neues Viadukt bei Genua kurz vor der Fertigstellung.
Legende: Symbol für Schlendrian und Effizienz zugleich. Das Polcevera-Viadukt des italienischen Bauingenieurs Riccardo Morandi bei Genua stürzte im August 2018 ein. 43 Menschen starben. Seit 2014 war der Betreiberfirma bekannt, dass die Brücke einsturzgefährdet war. Im Bild die neue Brücke des Genueser Architekten Renzo Piano kurz vor der Fertigstellung. REUTERS/Massimo Pinca

Italien und die überbordende Bürokratie: Das sei kein Klischee, sondern die Realität, sagt Korrespondent Franco Battel. Das zeige sich in der Corona-Krise beispielsweise daran, dass Hilfsgelder – auch jene der Europäischen Union – im Staatsapparat versickerten. So habe die Regierung rasch Kurzarbeitergeld versprochen, doch es sei in der Bürokratie steckengeblieben.

In der Corona-Krise sei auch in Spanien nicht alles reibungslos abgelaufen, sagt Ausland-Redaktorin Melanie Pfändler. Grundsätzlich aber habe sie den Eindruck, dass Spanien mehr mit dem Geld der EU und der Steuerzahler mache als Italien. Gerade auch mit Blick auf die Infrastruktur, die besser unterhalten werde.

Dass Italien hier Defizite hat, zeigte sich im August 2018, als die Morandi-Autobahnbrücke in Genua einstürzte. Autos und Lastwagen wurden in die Tiefe gerissen, 43 Menschen starben. Es dauerte aber nur zwei Jahre, bis der Neubau eingeweiht werden konnte. Das wiederum zeigt, dass Italien auch anders kann.

Das schwache Grundvertrauen in den Staat und seine Vertreter kennzeichnet allerdings das Leben in Italien wie in Spanien. Das hat viel mit der politischen Instabilität in den beiden Ländern zu tun, aber auch mit Korruption und organisierter Kriminalität. Ein stärkerer Föderalismus mit mehr Autonomie für die Regionen könnte ein Lösungsansatz sein.

Gefährliche Abhängigkeit vom Tourismus

Markusplatz in Venedig mit nur wenigen Touristen.
Legende: Venedig wegen der Corona-Pandemie praktisch ohne Touristen. Für viele Einheimische eine Freude, für die Wirtschaft ein schwerer Schlag. SRF/Franco Battel

Italien und Spanien sind schwer von der Corona-Pandemie getroffen worden. Das Gesundheitswesen ikam in beiden Ländern an den Anschlag. Die Regierungen ordneten strenge Schutzmassnahmen an, und weite Teile der Wirtschaft standen still. Die italienische Wirtschaft brach im zweiten Quartal um 12, 4 Prozent ein, verglichen zum Vorquartal. In Spanien ging das Bruttoinlandprodukt sogar um 18,5 Prozent zurück. Dass beide Länder stark vom Tourismus abhängig sind, der wegen der Corona-Pandemie praktisch zum Erliegen kam, verschlimmerte die Lage zusätzlich.

Die Bemühungen, den ungeliebten Massentourismus einzuschränken, sei es in Venedig, sei es auf den Balearen, könnten wegen der Corona-Krise einen Rückschlag erleiden: Beide Länder werben nun wieder intensiv um Touristinnen und Touristen, damit der wirtschaftliche Einbruch möglichst rasch wieder überwunden werden kann.

Der dominierende Tourismus mit seinen vielen Arbeitsplätzen zeitigt auf verschiedenen Gebieten negative Folgen, beispielsweise auch bei der Ausbildung. Viele junge Leute brechen ihre Ausbildung ab, weil sie auch ohne Abschluss einen Job im Tourismus erhalten und die beruflichen Aussichten mit einem Abschluss kaum besser sind. Das gilt für Italien wie für Spanien, wie Franco Battel und Melanie Pfändler erläutern.

Zwar gründen junge Leute auch in Italien und Spanien innovative Start-up-Firmen. Das «Klumpenrisiko Tourismus» vermögen sie aber nicht zu reduzieren.

Italien liebt die Nabelschau, Spanien blickt in die Welt

Zeitungen in einem Kiosk in Madrid.
Legende: Zeitungskiosk in Madrid: Italienische Zeitungen berichten vor allem über inländische Themen, während sich spanische Zeitungen auch stark der internationalen Politik widmen. REUTERS/Andrea Comas

Italienerinnen und Italiener sind eher auf sich bezogen und kümmern sich weniger um das, was um sie herum geschieht. Spanierinnen und Spanier hingegen blicken öfters über ihre eigenen Grenzen hinaus. Das sagen sowohl Italien-Korrespondent Franco Battel als auch Melanie Pfändler, die in der Ausland-Redaktion für Spanien zuständig ist.

Wie weit diese Zugewandtheit insbesondere zu Lateinamerika mit der kolonialen Vergangenheit Spaniens zu tun hat, lässt sich nur schwer beurteilen. Das Interesse an der Welt spiegelt sich in den spanischen Medien, die der Ausland-Berichterstattung grosses Gewicht beimessen.

In italienischen Medien hingegen beschränkt sich die Berichterstattung oft auf Inland-Themen. Im Ausland werden nur die ganz grossen Ereignisse zur Kenntnis genommen. So dürften die wenigsten Italienerinnen und Italiener wissen, dass der Aussenminister des Nachbarlands Schweiz italienischsprachig ist. Die Frage der geschlossenen Grenze zur Schweiz hat in Italien ebenfalls nicht so stark beschäftigt wie die geschlossene Grenze zu Griechenland, wo man gern die Sommerferien verbringt.

Diese Selbstbezogenheit Italiens zeigt sich auch beim Essen: Alles, was nicht italienisch sei, werde als «cucina etnica» bezeichnet, sagt Franco Battel.

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