Die Grüne Partei wird seit Monaten als Siegerin der kommenden eidgenössischen Wahlen gehandelt. Die Klimadiskussion, das zeigen auch die Umfragen, spielt den Grünen in die Hände. Entsprechend setzt die Partei beim Wahlkampf voll auf dieses Thema, etwa mit dem Slogan: «Unser Klima, Deine Wahl».
Die Erfolge in den kantonalen Wahlen seit 2015 sprechen ebenfalls für Sitzgewinne auf eidgenössischer Ebene. Allerdings verlief der bisherige Wahlkampf nicht pannenfrei: Die Zürcher Kantonalpartei überzeugte das Promi-Model Tami Glauser zu einer Kandidatur, nach einer ungeschickten Aussage und einem Shitstorm in den sozialen Medien zog diese ihre Kandidatur wieder zurück.
Die Grünen wollen im Nationalrat mindestens vier Sitze dazugewinnen. Damit kämen sie auf 15 Sitze und wieder auf den Stand von 2011. Schaffen Sie es den Schwung der Klimadiskussion in den Herbst mitzunehmen?
Antworten im Parteiencheck auf Radio SRF1 und SRF4 sowie hier im 30-minütigen Live-Chat
Chat-Protokoll
Jonathan Siegrist, Aeschi: Hr Glättli, werden Sie in naher Zukunft gegen den Wirtschaftswachstum, bzw. für eine Wirtschaft-Schrumpfung werben? Aus meiner Sicht werden wir bzw. die ganze Menschheit ja irgendwann anfangen müssen Ressourcen zu sparen und daher müssen wir ja in der Schweiz mit gutem Beispiel vorangehen. Wie sehen Sie das?
Balthasar Glättli: Die Grünen haben mit ihrer Initiative «Für eine Grüne Wirtschaft» den Umbau von einer Wegwerf- zu einer Kreislaufwirtschaft angeregt. Damit wir bis 2050 nur den Fussabdruck Null haben. Grundsätzlich ist sowohl Wirtschaftswachstumsgläubigkeit falsch (Mehr BIP heisst nicht unbedingt mehr Wohlstand für alle) als auch ein Glauben, dass das Negativwachstum alles besser macht (Weniger BIP heisst noch nicht dass die Wirtschaftserträge gerechter verteilt werden - das müsste aber der Fall sein).
Hans Meier, Gontenschwil: Die Überlastung unserer Strassen und des Ö–Vs ist eine Realität. Wieso stemmen sich die Grünen hartnäckig dogmatisch gegen einen Ausbau der Kapazitäten? Es wird nicht von alleine besser, bloss weil der Leidensdruck ständig weiter steigt!
Balthasar Glättli: In Zeiten der Klimakrise, welche eine gigantische Herausforderung ist, wäre es absurd, weiterhin Milliarden in neue Autobahnen zu investieren. Wir müssen Verkehr vermindern (u.a. durch neue Technik wie Videokonferenzen), Verkehr verlagern (auf Ö–V und sanfte Mobilität, die extrem viel weniger Strassenraum brauchen) und den verbleibenden Verkehr verträglicher gestalten.
christine graber, 8006 ZH: ist es möglich, eine initiative zu starten zugunsten aller stadtbewohner, die mit der «eventkultur» der stadt zürich nicht einverstanden sind, bei einer rot-Grünen regierung? herzlichen dank für die antwort.
Balthasar Glättli: Sofern Sie eine Formulierung finden, die rechtlich verbindlich in der Gemeindeordnung der Stadt Zürich beschreibt, was die neuen Regeln sein sollten, dann können Sie eine solche Initiative starten. Ganz unabhängig wie die Regierung und der Gemeinderat zusammengesetzt sind. Zwingend beachten müssen Sie nur das übergeordnete Recht.
Jan Wyss, Altwis: Wie wollen sie die Massnahmen gegen den Klimawandel für die Unterschicht verträglich machen?
Balthasar Glättli: Grün geht nur sozial. Da haben Sie recht. Deshalb braucht es Massnahmen, die auch sozial verträglich sind. Z.B. ein Ökobonus ist sozialverträglich. Man spricht leider immer von «Lenkungsabgaben», und da verstehen sehr viele Menschen nicht, dass dies keine neuen Steuern sind. Sondern dass diese wieder an die Bevölkerung zurückfliessen, und zwar pro Kopf. D.h. eine Familie, die sich ökologischer verhält, hat nachher unter dem Strich mehr Geld und nicht weniger. Der Journalist und kompetente Energieexperte Herr Guggenbühl hat das im Infosperber mal vorgerechnet, dass ein Ökobonus sozial ist.
Jérôme Meier, Wald ZH: Die Umsetzung der neuen Mobilfunkgeneration 5G verschlingt immense Ressourcen. Es werden sehr viele neue, leistungshungrigere Antennen gebaut – und alte entsorgt. 6 Milliarden Mobiltelefone werden obsolet und werden früher oder später durch neue ersetzt werden müssen. Milliarden vernetzter Geräte (Lebensmittel, Haushaltsgeräte, Alltagsgegenstände) benötigen für 5G eigene Elektronik, das ist Ressourcenverbrauch vom Feinsten. Welchen Standpunkt hat Balthasar Glättli bzw. die Grünen gegenüber 5G?
Balthasar Glättli: Lieber Herr Meier ich war zum Thema 5G in eine Arena eingeladen, weil ich sehr viele Anfragen zu verschiedensten Themen habe hier im Chat lade ich Sie einfach ein, die erste Hälfte der damaligen Arena (diesen Frühling) nachzusehen online. Dann sehen Sie meine sehr kritische Haltung detaillierter als dies hier im kurzen Platz zu beschreiben ist.
Urs Keller, 8051 Zürich: Arbeitet Ihr mit dem Mieterverband zusammen, dass Mal endlich mehr bezahlbare Wohnungen in den Städtischen gebieten gibt?
Balthasar Glättli: Ich bin Vizepräsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes und Präsident des Mieterinnen- und Mieterverbands Deutschschweiz. Und ich habe aktiv an der Erarbeitung der Volksinitiative «Für mehr bezahlbare Wohnungen» des MV mitgearbeitet, welche mutmasslich nächsten Februar zur Abstimmung kommt. Damit wollen wir den Anteil an gemeinnützigen Wohnungen, die für immer der Mietzinsspekulation entzogen sind, deutlich steigern.
Peter Japan, Bern: Herr Glättli, ist die ökologische Frage letztlich nicht eine sozialpolitische? «Die [materielle] Existenz geht der [individuellen] Essenz voraus», heisst es bei Sartre. Wer viel verdient/besitzt, hat entsprechend mehr Ressourcen, zum Bio-Einkauf ebenso wie zum Ferienflug. Umverteilung scheint mir die einzig relevante Lösung, gerade auch in der ökologischen Frage. Warum sollte man trotzdem Grün statt rot wählen?
Balthasar Glättli: Weil es beides braucht. In einer 1. Mai Rede 2015 in Uster habe ich genau zu diesem Thema gesprochen. Wenn es sie wirklich interessiert, wie ich persönlich rot und Grün zusammendenke, dann schauen Sie diese Rede auf Youtube an. https://www.youtube.com/watch?v=i9c_KPhIDvY
Monika Baumann, Fürigen: Herr Glättli wenn Sie bis 2050 den Fussabdruck auf Null setzen möchten wie bringen Sie der Bevölkerung dann bei sich bis dann ausgerottet zu haben? Einen Fussabdruck Null gibt es mit Menschen nie!
Balthasar Glättli: Darum ist es wichtig, dass man nicht null sagt. Sondern netto null. SPrich: Die Balance zwischen Ausstoss von CO2 und anderen Treibhausgasen einerseits und den dauerhaften, natürlichen Senken (zB Wald, Urwald, Boden) andererseits muss stimmen.
Daniel Stutz, Will: Warum soll ich die Grünen wählen?
Balthasar Glättli: Weil die Grünen jene Kraft sind, die sich seit Jahren für eine glaubwürdige Klimapolitik, für die Gleichstellung der Frauen und für eine liberale Gesellschaft einsetzt. Auch dann, wenn damit kein Blumenstrauss zu gewinnen ist. Und weil für uns Umweltpolitik und Gerechtigkeit zusammengehören. Ein Beispiel noch zum Thema liberale Gesellschaft: Als die Grüne Ruth Genner vor 20 Jahren die Ehe für alle forderte mit einer parlamentarischen Initiative, stimmten noch nicht mal alle SP-VertreterInnen zu. Unterdessen sind wir drangeblieben... und wer weiss, vielleicht gelingt es wirklich, im neugewählten Parlament dann eine Mehrheit für eine echte Ehe für alle zu finden, und nicht nur für eine Ehe für alle light.
MISCHA käser, männedorf: es macht für die armeegegner wenig sinn sich in Details zu verhädern (z.b. wieviel und welche Flugzeuge) - besser wäre die Absurdität der heutigen antiken rüstungsware zu betonen. die neuen kriege (Hackerangriffe auf wirtschaft und gesellschaft) haben längst begonnen. ich als linker Politiker würde eine diesbezügliche armee (it-armee - Hackerabwehr) unterstützen. das budget wäre viel kleiner und der Effekt viel grösser - was meinst du dazu?
Balthasar Glättli: Tatsächlich ist viel von der offiziellen Armeepolitik resp. Rüstungsbeschaffung eine milliardenteure Vorbereitung auf die Kriege von gestern als eine Vorbereitung auf die realen SIcherheitsrisiken von heute. Als jemand, der einige Jahre selbst im IT Bereich gearbeitet hat, weiss ich um die Probleme im Cyberbereich. Allerdings muss ich davor warnen, dass die Armee quasi die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft vor Hackern schützen könnte. Das bleibt eine Aufgabe, die man auf Bundesebene mit Standards (insbesondere bei kritischen Infrastrukturen) regeln muss, aber die eigentliche Aufgabe, das eigene Netz, die eigenen Systeme sicher und resilient zu machen, das ist Aufgabe der jeweiligen Betreiber. Die Elektrizitätswerke und Banken werden nicht sicherer, wenn man neben ihre Systemadministratoren noch ein paar Cyberrekruten setzt :-)
Monika Baumann, Fürigen: Herr Glättli Sie haben die Frage «woher kommt der Strom wenn die AKW abgeschaltet werden?» nicht beantwortet. Würden Sie dies bitte jetzt tun. Vielen Dank
Balthasar Glättli: Das grösste Potential liegt beim Energiesparen (Energie die man nicht braucht, muss man auch nicht produzieren) und bei der Solarenergie. Die von den Stimmberechtigten angenommene Energiestrategie 2050 ist genau eine Strategie, welche den Ausbau der neuen Erneuerbaren so voranbringen soll, dass es kein Problem ist, wenn aus SicherheitsGründen die AKW abgeschaltet werden müssen.
Daniel Stutz, Will: Warum braucht es junge Frauen im Ständerat? Was können Sie bewirken?
Balthasar Glättli: Es gibt im Moment nur eine einzige wiederkandidierende Ständerätin. D.h. wenn nicht neu auch junge, mittelalte und ältere Frauen gewählt werden, dann droht das Stöckli faktisch zum (fast) reinen Männerclub zu werden. Wir Grüne kämpfen dagegen an, mit der grössten Anzahl von Ständeratskandidatinnen. Von jung bis älter, wenn ich zB an Lisa Mazzone (Genf) Adèle Thorens (Waadt) Regula Rytz (Bern) und Maya Graf (Baselland) denke. Und auch mit neuen Köpfen wie im Kanton Zürich mit der tollen Marionna Schlatter.
Hans Bauer, Bern: Die Jugend interessiert sich offenbar sehr für Klimathemen und hat mit Greta eine Galionsfigur ihrer Generation. Ist das ein Geschenk für die Grüne Partei oder eher eine Hypothek?
Balthasar Glättli: Zuerst bin ich glücklich, dass das Klimafieber endlich die nötige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit geniesst. Das hätte ich nicht zu hoffen gewagt, als ich zusammen mit dem ganzen Wahlkampfteam der Grünen als Ko-Wahlkampfleiter vor 14 Monaten Klima, Frauen und Haltung zeigen gegen rechts als Hauptthemen unserer Kampagne definiert habe. Immerhin haben die Grünen schon vor den Klimastreiks deutlich vorwärts gemacht in den Kantonen. Nun hoffen wir natürlich, dass nicht nur die Umfragen stimmen, sondern auch die einzige Umfrage, die zählt: die Wahl am 20. Oktober. Denn das entscheidet darüber, wie das neue Parlament zusammengesetzt ist, welches dann das CO2 Gesetz zu ende beraten und weitere Klimaschutzmassnahmen beschliessen muss!
Urs Keller, 8051 Zürich: Macht Ihr auch Liesten Verbindungen mit anderen Parteien?
Balthasar Glättli: Ja, sie finden die Listenverbindungen dann jeweils in den Wahlunterlagen. In den allermeisten Kantonen haben wir eine Listenverbindung mit der SP, welche auch die Partei ist, die den Grünen am nächsten steht. Zudem an einigen Orten zusätzlich mit der glp, und natürlich wo vorhanden mit anderen kleineren alternativen Parteien. Unsere Hoffnung ist natürlich, dass sich die Umfragen bestätigen, und dass links-Grün gemeinsam zulegt, und auch in der Mitte eine Bewegung zu mehr Grün stattfindet.