Es war ein kleines, unscheinbares Inserat in der «Luzerner Zeitung»: Die Stiftung Beroldingen suchte einen neuen Mieter für das Schlösschen Beroldingen. Bei der Besichtigung waren sehr viele Interessierte anwesend, doch Rosmarie Glenz wusste: Das wird mein neues Zuhause.
Unverhofft zur Schlossbesitzerin
Sie schrieb eine Bewerbung und erstellte ein Konzept, das die Kunst ins Schloss bringen sollte. Einen Monat lang hörte sie nichts mehr. Dann rief sie an, und es hiess, dass man einer Familie aus dem Kanton Uri den Vorzug geben wolle. Rosmarie Glenz bat, dass man ihre Adresse behalten solle. Im Fall der Fälle.
Tatsächlich kam der Anruf im November, dass das Schloss nun doch zu haben sei. Da das Heim so abgeschieden liegt, hätte sich die Familie nun doch anders entschieden. Bei der erneuten Besichtigung war das Schloss in einem schlimmen Zustand: Für eine Heizung war alles im Umbau und es war überall schmutzig.
Neue Frische in alten Gemäuern
So verbrachte Rosmarie Glenz die ersten Tage im Schloss mit Putzen. Für sie war dies eine heilsame Annäherung an das neue Zuhause. Mit viel Liebe hat sie nun das Schlösschen hergerichtet, jeder Raum, jede Ecke atmet ihre Kunst. Angebaut ist auch eine kleine Kapelle, wo durchgehend Musik läuft. Im Garten sind Tafeln aufgestellt, mit verzierten Sprüchen von Dichtern und Denkern.
Noch immer ist Rosmarie Glenz künstlerisch tätig. In ihrem Atelier stellt sie einerseits Figuren aus Pappmaché oder einem Plastikgemisch her, oder sie malt farbenfrohe Bilder. Einmal pro Monat öffnet sie ihr Heim für Besucher, kocht Glückstee und bietet selber gebackenen Kuchen an.
Eine einzigartige Persönlichkeit
Sie führe genau das Leben, das ihr gefalle, sagt die Seniorin. Ihr Leben sei zwar mit Höhen und Tiefen ausgestattet gewesen, doch schliesslich habe es sie zu dem Menschen gemacht, der sie heute sei.
Vor dem Tod hat Rosmarie Glenz keine Angst, im Gegenteil: Das sei wie eine Geburt. Im Garten steht deshalb bereits ihr Grabstein. Einzig das Todesdatum fehlt. Die Künstlerin zitiert dabei einen Spruch von Hermann Hesse, der ihr Kraft schenkt:
Einschlafen dürfen, wenn man müde ist, und eine Last fallen lassen dürfen, die man lange getragen hat, das ist eine köstliche, wunderbare Sache.
Genauso tröstlich ist für Rosmarie Glenz das Klavierkonzert von Mozart, dass sie sich zum Schluss vom Interview wünscht.
Prägende Momente eines langen Lebens
In einer fünfteiligen «Sinerzyt»-Serie gibt uns Rosmarie Glenz Einblick in ihre bewegte Lebensgeschichte. Als unerwünschtes Kind wurde sie schon im Mutterleib misshandelt und später vom Vater und von einem Onkel sexuell missbraucht. Davon zeugen Narben an Körper und Seele. Heilung erfährt sie bis heute durch Kunst und Literatur.