Aufgewachsen ist Loretta Federspiel in Mauren, an der Grenze zum Vorarlberg. Als Kind hörte sie immer wieder Geschichten aus ihrer Gegend. Dies oft ganz nebenbei, wenn sich die Bevölkerung aus dem Dorf traf. Manchmal dachte sie, dass sich die Erzählungen gleich neben ihrem Haus abspielen würden.
Erzähl-Talent im Lehrerseminar entdeckt
Dass Loretta Federspiel selber ein Talent im Geschichten erzählen hat, merkte sie zum ersten Mal in ihrer Ausbildung zur Lehrerin. Als sie zusammen mit ihren Klassenkameradinnen an einem Abend das Klassenzimmer reinigen mussten, begann sie, eine Geschichte von Teilhard de Chardin zu erzählen. Alle hörten gespannt zu, und sogar ihre Lehrerin zog sie in ihren Bann.
Um erzählen zu können braucht es Zuhörer, eine gute Geschichte und eine angenehme Atmosphäre.
Auch als ausgelernte Lehrerin begeisterte Loretta Federspiel ihre Schülerinnen und Schüler mit ihrem Erzähltalent. Ein Märchen oder eine Sage lebhaft erzählen zu können hat sie im Gespür. Die heute 75jährige wurde immer professioneller in ihrer Erzählkunst.
Das spezielle an den Liechtensteiner Sagen ist, dass sie oft mit der Landesgrenze zu tun haben.
Loretta Federspiel erzählt Liechtensteiner Sagen
«Uli Maris»
Diese Sage aus Liechtenstein ist eine traurige Geschichte über Krieg und Verrat. Als 1499 die Eidgenossen gegen das schwäbisch-kaiserliche Heer über den Rhein zogen, teilten sie sich in zwei Gruppen auf. Eine wurde von einem Verräter in die Irre geführt und büsste damit mit seinem Leben.
«Geldsucher of Güdiga»
Mit viel Hokuspokus beschwören sieben Männer den Teufel um ihn herbei zu rufen. Er soll ihnen eine Tasche voll Geld bringen. Tatsächlich taucht der Teufel auch auf, doch für das Geld fordert er eine Seele. Schliesslich gehen beide Seiten leer aus.
«S'versungga Bad vo Rogäll»
Beim Schwefelbad bei Rugell wurden früher ausgelassene Feste gefeiert. Ganz nach dem Motto «Lustig gelebt und selig gestorben ist dem Teufel das Spiel verdorben». Doch auf das Feiern zur Fastenzeit folgt postwendend die Strafe.
«Dr Triesner Riter»
Diese Liechtensteiner Sage erinnert an die furchtbare Zeit des Hexenwahns im Land. Eine gutmütige Magd wird zu Unrecht als Hexe angeklagt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das schlechte Gewissen lässt ihren Herrn auch nach dessen Tod unstet durch die Nächte reiten.
«D Grenza bim St. Katharinabrunna»
Beim Grenzstreit mit Graubünden zählen die Liechtensteiner auf den kräftigen Jörg – ein Hüne aus Balzers. Er soll einen Stein bis hinüber in die Schweiz tragen. Dort wo ihn die Kräfte verlassen, soll die neue Grenze zu stehen kommen.
«A böses End»
Ein Holzfäller mit übernatürlichen Kräften aus Mauren ist vom Teufel besessen. Seine Mitmenschen erfahren erst spät davon.
«Dr guet Geischt»
Ein furchtloser Bauer aus Triesenberg wird für seinen Mut gleich mehrfach belohnt und befreit noch dazu eine verdammte Seele.
«S Venediger Männli»
Drei Mädchen gingen anstatt zur Kirche auf einen Berg, um Beeren zu suchen. Dort trafen sie auf ein Venediger Männli. Das Männli fühlte sich in seiner Arbeit gestört und verwandelte die Mädchen in drei kahle Bergspitzen, die heute als die drei Schwestern bekannt sind.
«S'Tüfelsloch»
Der Teufel machte für einen Bauern die Mäh- und Heuarbeit, für die er seine Seele verlangte, wenn er vor dem Ave Maria Läuten fertig würde. Der schlaue Pfarrer von Bendern aber liess die Glocke früher läuten. In seiner Wut schleuderte der überlistete Teufel den Wiesbaum über den Rhein in die gegenüberliegende Felswand. Durch dieses Loch in der steilen Felswand über dem Berg zwischen Sax und Gams fällt abends ein Sonnenstrahl auf Bendem.
«Dr Schatz of Schloss Guatabärg»
Auf der Burg Gutenberg, die auffällig in der Rheinebene auf einem Felshügel steht, ist ein Schatz verborgen, der von einer Jungfrau gehütet wird Alle hundert Jahre erscheint sie mit dem Schatz und hofft auf ihre Erlösung. Ein junger Mann sollte sie an ihren Zöpfen dreimal ohne einen Laut und ohne sie anzusehen herum schwingen. Aber der Bursche schafft es nicht und so vergehen wieder 100 Jahre, bis sich die Jungfrau mit ihrem Schatz zeigt.
«Kiarcha of Masescha»
Der Papst schenkte dem heiligen Theodul, dem erstem Bischof des Wallis, eine Glocke. Aber der Bischof konnte sie nicht tragen, weil sie sehr schwer war. Deshalb hat er den Teufel dazu gezwungen, für ihn die Glocke über die Alpen zu tragen. Als die Neuansiedler ihre erste Kirche bauen wollten, wurde das Fundament immer wieder abgetragen. Ein freilaufendes Ochsengespann zeigte ihnen dann den richtigen Platz für ihren Kapellenbau.
«S Plankner Fölli»
Das Land Liechtenstein hat 11 Gemeinden. Die Einwohner haben neben ihrem Gemeindenamen auch einen Übernamen. Die Bewohner von Planken, wahrscheinlich Nachkommen der Walser, sind zu ihrem «Plankner Fulli» gekommen, weil einer von ihnen ein Fohlen aus einem Kurbisei ausgebrütet hat.