«Sobald ich laufen konnte, hat meine Mutter mich für Wanderungen mit in die Berge genommen», erklärt Andreas Weissen seine Liebe zur Natur. Als Alpinistin habe sie schon in den 1930er-Jahren Hochtouren unternommen. Den Sommer habe die Familie jeweils auf einer Alp verbracht. Die ersten Walliser Sagen er aber nicht etwa auf der Alp gehört, sondern auf Radio Beromünster.
Reizvolles Schaudern
Es war in den 1960er-Jahren als Karl Biffiger auf Radio Beromünster einmal wöchentlich eine Walliser Sage erzählte. «Diese Sagen haben mir eigentlich Angst eingeflösst», erinnert sich Andreas Weissen. «Sie waren meistens unheimlich, handelten von Menschen, die aus dem Totenreich zurückkehren, um böse Menschen zu zermalmen oder ihnen eine Krankheit schicken.»
Aber das Sträuben der Nackenhaare war für ihn als Bub sehr reizvoll. Mit Sagen habe man sich vor dem Zeitalter elektronischer Medien unterhalten, meint Andreas Weissen. Gerade im Sommer auf der Alp sei man abends oft zusammen gesessen und habe sich Geschichten erzählt.
Sagenhafter Sagenschatz
Bei den Walliser Sagen kann der leidenschaftliche Erzähler aus dem Vollen schöpfen. Vor rund 40 Jahren sei ein Sagenforscher von Dorf zu Dorf gezogen, habe Sagen aufgezeichnet und die Sammlung als Buch veröffentlicht. Es heisst «Volkserzählungen aus dem Oberwallis» und enthält sagenhafte 2300 Geschichten. Die meisten sind in Kurzform verfasst.
Andreas Weissen schmückt diese Geschichten gerne aus, spinnt sie weiter und ergänzt sie durch spontane Einfälle. So hat er im Laufe der Jahre einen sehr persönlichen Erzählstil entwickelt. Originell mischt er leise und laute Töne und bringt den Klangreichtum des Walliser Dialekts voll zum Tragen.
Walliser Sagen – erzählt von Andreas Weissen
«Bärggeischt va Märjala»
Mit den gefundenen Kristallen ist er nicht zufrieden und ein erlegter Bock reicht ihm nicht. Da ist es nicht verwunderlich, dass der Jäger den Zorn des Berggeists des Märjelensees auf sich zieht. Des Jägers Habgier hat aber noch weitere Konsequenzen, die man bis nach Sitten zu spüren kriegt.
«Dr Hüöt»
Ein etwas seltsamer Bauer wohnt nie der heiligen Messe bei. Schliesslich zitiert ihn der Pfarrer zu sich. Was er dann erlebt, lässt ihn seine Moralpredigt vergessen.
«d Napoleonsbrigga»
Zu alten Zeiten lag ein Fluch auf der Napoleonbrücke bei Brig. Pferde samt Wagen stürzten sich in die Tiefe oder brannten durch. Wer mitten in der Nacht die Brücke überqueren wollte, war plötzlich wie festgenagelt, ohne Möglichkeit einen Schritt vorwärts oder zurück zu machen. Bis eines Nachts ein mutiger Kaplan dem Schrecken ein Ende setzte.
«D armu Seele im Gletscher»
Ein Jäger ging eines Nachts über den grossen Aletschgletscher. Eine betörend schöne Stimme zog ihn plötzlich in ihren Bann. Sie stammte von einer eingefrorenen Seele. Es war nicht die einzige, die er auf seiner Tour entdecken sollte.
«Ds verloru Lied»
In Grimmen sangen sie früher ein wunderbares Lied, das alle Sorgen vergessen liess. Mit der Zeit erinnerte sich aber niemand mehr an die Melodie und es ging verloren. Bis einmal ein Mädchen ihre Ziegen hütete und den Grillen zuhörte.
«Dr Tiful und d Chrääje»
Nach Reichtum und Ruhm Strebenden bringt der Teufel allerhand Tricks bei. Doch als Gegenleistung fordert er ein Menschenleben.
«Dr Profässer ufum Gletscher»
Kreidebleich werden ein frommer Geistlicher und seine Gruppe von Studenten als sie in der Tiefe einer Gletscherspalte unzählige arme Seelen erblicken.
«Dr Güggulriter»
Während ein Bauer auf die Geburt eines Kalbes wartet, beobachtet er durch ein Astloch seiner Haustür eine eigenartige Prozession. Er macht sich darüber lustig mit fatalen Folgen für sein Augenlicht.
«D Wirti zer Taferna»
Eine Wirtin schenkt ihren Gästen nicht immer nur reinen Wein ein. Man kann erahnen, dass das kein gutes Ende nimmt.