«Mein Vater schrieb Kurzgeschichten und sagte immer, diese seien frei erfunden», erzählt Marianne Leu. «Doch ich wusste immer, von wem sie handeln und welche Personen oder Orte er genau meinte.»
Von diesen Geschichten konnte sie als Kind nie genug bekommen. Von ihrem Vater oder auch ihrer Grossmutter wollte sie immer noch eine weitere hören. Diese Leidenschaft hat sie später in ihren Beruf als Primar- und Sekundarlehrerin mitgenommen.
Dialektpflege als «Wöschwiib»
Inzwischen ist Marianne Leu pensioniert. Doch die Freude an Geschichten und die Faszination für die Schaffhauser Mundart sind geblieben. «Ich erzähle im abgeschwächten Klägauer-Dialekt, der langsam verloren geht», so Leu.
Zum Erhalt der Dialektsprache engagiert sich Marianne Leu im Schaffhauser Mundart-Verein. Sie ist Teil der «Wöschwiiber», die in Wilchingen Stadtführungen anbieten. Mit Witz, Charme und «Wöschwiiber»-Tratsch und -Klatsch lernen Gruppen auf unterhaltsame Art und Weise die Dorfgeschichte kennen.
Schaffhauser Sagen erzählt von Marianne Leu
«D' Saag vom Ottereguet»
Angst vor Schlangen hat das kleine Vreneli nicht. Sie füttert ihre zahme Otter gerne mit Milch. Eine Tier-Freundschaft, die Vreneli im späteren Leben Glück bringen wird.
«No e Wiili»
Einem aufmerksamen Bäcker aus Stein am Rhein ist es zu verdanken, dass das hübsche Städtchen nicht von habgierigen Angreiffern eingenommen wird. Der Bürgermeister kommt bei dieser Aktion allerdings nicht ungeschoren davon.
«S'Schteine Chrüüz z'Rüedlinge»
Die Reformation war Schuld daran, dass sich die Brüder Simmler trennen mussten. Ihr Band besiegelten sie mit einem vergrabenen Findling und einem Kreuz, dass sie auf einem Felsen an einer Weggabelung einritzten. Es sollte der Ort sein, wo sie sich wiedersehen wollten. Ein Band, das sogar den Tod überdauerte.
«E tüüri Bölletünne»
Bis über beide Ohren verschuldet, wollen die Klosterbrüder von Rheinau den Rossberg verkaufen. Die Dörfer Hallau und Wilchingen zeigen grosses Interesse an diesem schönen Wald. Die Wilchinger sehen kaum eine Chance, dass sie den Zuschlag erhalten. Doch mit einer Zwiebelwähe und einem kleinen Trick wird Hallau überlistet.
«S Nüüniglöggli»
Zur Zeit der Kreuzritter betrauert Burgherrin Berta den Verlust ihres Ehemanns. Bei seiner Heimkehr aus Palästina wurde er während eines Gewitters von einem wilden Fluss mitgerissen. Berta wünscht sich, sie hätte ihm in der finsteren Nacht ein Zeichen geben können und lässt eine kleine silberne Glocke giessen.
«S Fräulein vo Randeburg»
Das gutherzige Edelfräulein auf Burg Randenburg will die grosse Not der Bevölkerung lindern. Sie bringt täglich Nahrung ins Dorf, pflegt Kranke und hat für jeden ein tröstendes Wort. Als sie eines Nachts von Räubern verfolgt wird, erlebt sie selbst eine wundersame Rettung.
«De Fischer am Rhyfall»
Als ein junger Fischer nach einem ertragreichen Tag zufrieden nach Hause rudert, überkommt ihn der Schlaf. Ein mächtiges Tosen weckt ihn auf. Er sieht mit Entsetzen, dass ihn die riesigen Wassermassen des Rheins in die Tiefe reissen. Wie durch ein Wunder überlebt er. Doch niemand will ihm seine Geschichte glauben. Deshalb fordert er sein Schicksal ein zweites Mal heraus.