«Sagen bleiben nicht an der Oberfläche», erklärt Erika Hoffmann ihre Faszination für solche Geschichten. «Sie schaffen immer einen Bezug zu Menschen und Orten.» Das Geheimnisvolle und Erschreckende habe eine besondere Anziehungskraft, genau so wie Schuld, Sühne oder Erlösung.
Märchen und Sagen
Mit der Sagenwelt kommt die Zürcher Grundschullehrerin erst kurz vor ihrer Pensionierung in Berührung. «Bei meiner Ausbildung zur Märchen-Erzählerin lernte ich auch neue Sagen kennen», so Hoffmann. Äusserst spannend fand sie Diskussionen über Gegensätze und Gemeinsamkeiten von Märchen und Sagen.
Stadt und Land
Lange war Erika Hoffmann der Meinung, dass Sagen vor allem im Alpenraum vorkommen. Heute weiss sie es besser, schliesslich verfügt sie inzwischen über einen reichen Schatz städtischer Sagen. «Der historische Hintergrund ist bei städtischen Sagen stärker als bei ländlichen», meint die ehemalige Lehrerin. «Bei ländlichen Sagen spielen dafür übernatürliche Phänomene eine grössere Rolle.»
Zürcher Sagen – erzählt von Erika Hoffmann
Pest im Fischental
Ein seltsamer Vogel warnt die Einwohner eines Weilers nahe Fischental von der nahenden Pest. Nachdem diese ausgestanden ist, kehrt der Vogel zurück – diesmal jedoch mit einer positiven, verheissungsvollen Botschaft. Diese bringt nicht nur den Bewohnern des Weilers Glück.
Geisterschachen
Ein Bauer versetzt im sumpfigen Schachen im Limmattal Grenzsteine zu seinen Gunsten. Damit treibt er seinen Nachbarn in den Ruin und letztlich in den Tod. Er selber kann sich anfangs über seinen ergaunerten Reichtum freuen, dafür muss er seine Tat nach seinem eigenen Tod büssen.
Das goldene Tor
Eine Wasserfrau entführt einen kleinen Schafhirten in ihre Unterwasserwelt. Hinter einem goldenen Tor eröffnet sich ihm eine grosse, prächtige Stadt. Dort erwartet ihn bereits eine weitere, liebreizende Wasserfrau. Ein Happy End gibt es aber nicht.
Der Kirchhof von Sellenbüren
In der Nähe des Dorfes Sellenbüren gibt es stilles, heimeliges Plätzchen, wo einst die Edlen des Ortes begraben wurden. Ein Knäblein wollte dort Erdbeeren suchen, als er plötzlich auf einer Waldwiese kleine weisse Gestalten, Zwerge und Gold und Silbermünzen sieht. Schnell packt er ein paar Münzen ein und erzählt Zuhause was er gesehen hat. Als er aber mit seinen Eltern zum Ort zurückkehrt, sind weder Gestalten noch Münzen zu sehen.
Wie der Hof Erlosen zu seinem Namen kam
Am Anfang der Geschichte steht ein Streit zwischen zwei Brüdern. Der eine muss den elterlichen Bauernhof verlassen und baut sich mit Hilfe des erhaltenen Erbanteils ein neues Leben auf. Das Heimweh plagt ihn jedoch. Ein wandernder Schneider soll seinem Vater eine schriftliche Bitte um Verzeihung zukommen lassen. Dabei kommt aber alles anders als geplant.
Das schneeweisse Steinchen
Der kleine schneeweisse Stein ist geheimnisvoll und beängstigend zugleich. Wo immer er liegt oder hinfällt, macht er Mensch oder Umgebung unsichtbar.
Kaiser Karl der Grosse und die Schlange
Eine fette Kröte sitzt auf Schlangeneiern in einem Nest. Die Schlangenmutter «bittet» Kaiser Karl um Hilfe. Er zeigt Gerechtigkeitssinn und wird dafür fürstlich belohnt. Später baut er an der Stelle, wo er das Schlangennest fand, die Wasserkirche.
Das Heidenweib an der Lägern
Der Müllerssohn lernt eine Frau beim Tanz kennen. Er will sie nach Hause begleiten, sie verabschiedet sich jedoch nach der Lägeren und bestellt ihn für den nächsten Tag wieder zur selben Stelle. Am nächsten Tag erzählt sie dem Müllerssohn, dass sie verbannt wurde und er ihr helfe solle. Die Befreiung geht allerdings schief.
Der Mondmilchgubel
Eines Abends kam ein Venedigermännlein zu Vater Oberholzer. Es erzählte von einem Schatz hinter einer eisernen Türe. Vater Oberholzer kannte den Felsen und wies dem Venedigermännlein den Weg. Das Männlein klopfte an die eiserne Türe und eine wunderschöne Frau stand im Eingang. Sie führte die beiden vor eine schwarze Eisentruhe, gefüllt mit Goldstücken. Der Venediger füllte seine Säcke mit Gold. Vater Oberholzer aber hatte seinen Blick immer nur auf die schöne Frau gerichtet. Als sie wieder gingen, war der Eine steinreich, der Andere mausarm wie zuvor.