Momentan sieht es so aus, als ob wir am 25. September das neue Nachrichtendienstgesetz annehmen. Wäre die Abstimmung vor einem Monat gewesen, hätten laut der SRG-Befragung gerade mal 35 Prozent dagegen gestimmt. Wird die Vorlage angenommen, kann der Nachrichtendienst...
- dein Telefon abhören
- deine privaten Räume verwanzen
- und der umstrittenste Punkt: überwachen, was du im Internet treibst
Das Internet scheint nicht nur für Merkel «Neuland» zu sein
«Na und?», hört man immer wieder, «sollen sie mich durchleuchten, ich habe nichts verbrochen.» Greift dieses Argument?
Diese Haltung kenne er, seufzt Hernâni Marques vom Chaos Computer Club. Hört man ihm zu, scheinen die meisten von uns keinen Blassen zu haben, wie dieses Internet genau funktioniert: «Den Leuten ist es egal, weil sie die Überwachung nicht unmittelbar spüren und nicht verstehen, wie es informationstechnisch funktioniert», sagt der Aktivist des Hackerclubs, «wir werden irgendwann kein bisschen Privatsphäre mehr haben, wenn wir nicht politisch etwas dagegen unternehmen.»
Unsere Zugangsdaten für Facebook, Twitter oder Mail würden wir auch nicht einfach ins Netz stellen. Das seien aber alles Daten, die bei einer massenhaften Überwachung abgefangen werden können. Entsprechend könnten Dritte diese Daten abfangen und uns etwa damit erpressen, sagt Marques. Je sensibler die Daten – etwa Patientendaten von Ärzten oder Daten von Klienten einer Anwaltskanzlei – umso mehr seien die Betroffenen bereit, zu zahlen.
Wir werden irgendwann kein bisschen Privatsphäre mehr haben, wenn wir nicht politisch etwas dagegen unternehmen.
Wenn selbst Geheimdienste gehackt werden
Tatsächlich sind immer wieder Fälle ans Licht gekommen, bei denen Behörden Opfer von Hackern geworden sind:
- Bei der RUAG, dem Rüstungskonzern des Bundes, wurden bei einem Cyber-Spionage-Angriff über 20 Gigabyte Daten geklaut.
- Der Nachrichtendienst des Bundes wurde selber Erpressungsopfer eines Datendiebes.
- Sogar der amerikanische Nachrichtendienst NSA soll Opfer von Hackern geworden sein.
Die Nachteile seien nicht abzuschätzen, sagt Marques. Die Folgen der Überwachung der jüngeren Schweizer Geschichte gäben ihm zu denken: Bei der Fichenaffäre habe es damals auch Leute gegeben, die herausfanden, dass sie 40 Jahre lang keinen Job hatten, weil sie beim Bund als Kommunisten geführt worden waren und bei Bewerbungen interveniert wurde, sagt der Aktivist.
«Der Nachrichtendienst muss mehr können als du und ich»
Der Journalist Kurt Pelda ist selber Opfer der Fichenaffäre geworden. Im Interview sagt er: «Ich weiss, wovon ich spreche. Das ist eine ernste Sache und man muss die Bedenken der Gegenseite auch ernst nehmen», sagt der 51-Jährige.
Trotzdem befürwortet er das neue Nachrichtendienstgesetz: «Der Nachrichtendienst kann heute so viel wie du und ich. Er kann etwa Facebookprofile und Videos von Predigten anschauen oder Leute im öffentlichen Raum beobachten, mehr nicht und das ist lächerlich!»
Sollen wir überwacht werden dürfen, auch wenn wir nichts getan haben?
Tatsächlich darf der Nachrichtendienst heute innerhalb der Schweiz nur Informationen beschaffen, die allgemein zugänglich sind. Mehr Kompetenzen haben die Strafverfolgungsbehörden: Liegt bereits eine Straftat vor, können die Strafverfolgungsbehörden Verdächtige überwachen.
Wir sprechen von einem Potential, das Tausende Menschenleben gefährden kann. Da muss man bereit sein, einen kleinen Teil seiner Freiheit aufzugeben.
Was hält Pelda davon, dass der Nachrichtendienst künftig präventiv und auf Vorrat überwachen soll?
Es gehe hier nicht um Bataclan oder die Strandpromenade in Nizza, sagt Pelda: «Ich kann nicht verstehen, dass man das Risiko eines Anschlags auf die Trinkwasserversorgung oder auf Atomkraftwerke in Kauf nimmt. Wir sprechen von einem Potenzial, das Tausende Menschenleben gefährden kann. Da muss man bereit sein, einen kleinen Teil seiner Freiheit aufzugeben.
Dem widerspricht Hernâni Marques: Es sei nicht verhältnismässig, wenn alle gescreent würden wegen einigen durchgeknallten Köpfen.
Spätere Täter seien immer wieder auf dem Radar gewesen. Einer der Täter von Paris habe etwa seine Tat in einem Interview angekündigt. Verhindert worden ist aber nichts. Die bestehenden Mittel seien nicht richtig genutzt worden, sagt der 31-Jährige Marques.
Es geht um eine Grundsatzfrage, über die wir am 25. September entscheiden.