Édouard Louis «Im Herzen der Gewalt»
Blutjung ist der französische Autor. Sein autobiografischer Roman ist ein literarischer Schock und mit Abstand das eindringlichste Buch 2017. Und ganz nebenbei, ein männlicher Beitrag zur #metoo Diskussion. Der junge homosexuelle Mann (24) wird von einem algerischen Immigranten vergewaltigt, stranguliert und mit einer Pistole bedroht. Was mit einer rührenden Begegnung zwischen zwei Männern beginnt, kippt in existentielle Gewalt und konfrontiert Édouard mit seinen rassistischen Gefühlen, die von der Polizei befeuert werden. Schmerzzerfressen, wütend bis in die Knochen und verunsichert, begleiten wir Édouard für einen Moment durch sein Leben.
Daniel Kehlmann «Tyll»
Ein historischer Roman über den 30-jährigen Krieg. Historisches Material, leicht und luftig erzählt. Grossartig! Wir sind bei Schlachten dabei, wir landen in einem Dorf, in dem die toten Bewohner erzählen. Teilweise sehr makaber. Wir sehen die Welt durch die Augen von Till Eulenspiegel. Ein Narr, ein Gaukler. Wer jetzt denkt, das ist doch alles alt, vergessen, nicht mehr wichtig, der irrt. Das Setting der Geschichte ist stellvertretend für das Absurde jeden anderen Krieges.
Hanya Yanagiharas «Ein wenig Leben»
Tausend Seiten Beklemmung. Und man hört eben doch nicht auf zu lesen, auch wenn man die Grausamkeit kaum aushält. Die Hauptfigur ist ein Versehrter. Als Baby in einem Mülleimer gefunden, wuchs er in einem gewaltgetränkten Männerkloster auf, prostituiert sich später und beginnt sich zu ritzen. Und als dann irgendwann eine Liebesgeschichte möglich ist, eine Beziehung, die frei ist von Gewalt und Missbrauch, darf auch diese nicht sein. Man hofft und leidet mit der Figur und wünscht ihr ein wenig Leben.
Sven Regener «Wiener Strasse»
Das ist das komödiantischste Buch 2017. Running Gags, Absurdes, schräge Figuren und zugespitzte Dialoge. Eine Sitcom, die als Roman daher kommt. Wir sind in Berlin-Kreuzberg in den 80ern, wo sich Künstler selber erfinden. Punks spielen Gitarre, bevor sie es überhaupt lernen. Ein anderer steckt Deutschlandfähnchen in einen verbrannten Kuchen – zäck, Kunst! Wie sich Menschen durchs Leben wursteln in einer Zeit, die fürs Ausprobieren günstig war, beschreibt Regener wie kein anderer.
Åsne Seierstad «Zwei Schwestern. Im Bann des Dschihad.»
Die eine wollte Diplomatin werden, die andere Anwältin. Jetzt sind die zwei Schwestern Islamistinnen geworden. Ihr Vater reist den beiden nach Syrien nach, kehrt aber nur mit Schulden der teuren Suchaktion zurück. Es ist das beste und preisgekrönte Sachbuch 2017. Geschrieben wie ein Thriller, mit dem erschütternden Unterschied, dass alles wahr ist.
Ayelet Gundar-Goshen «Lügnerin»
Eines Tages verwandelt sich ein Missverständnis in eine Lüge. Ein Mädchen jobbt in einer Eisdiele in Tel Aviv, lügt und bekommt plötzlich die grosse Aufmerksamkeit. Das schmeichelt dem unauffälligen Mädchen, aber wie findet man wieder zur Wahrheit zurück? Bleibt nahe bei der Wahrheit, wenn Du lügst! Eine super spannende Geschichte über unser Verlangen, gesehen zu werden. Und plötzlich verschwindet die Grenze zwischen Richtig und Falsch und wir bekommen es fast nicht mit beim Lesen.
Joachim Meyerhoff «Die Zweisamkeit der Einzelgänger»
Emotionales Chaos der Extraklasse! Der fragile und erfolglose Schauspieler trifft Hanna. Die grosse erste Liebe. Kurz darauf trifft er Franka, eine wilde Tänzerin. Und dann ist da noch die Ilse, eine Bäckerin. Geht das gut? Natürlich nicht! Die 400 Seiten verschlingt man wie eine Netflix-Serie. Gut, gibt es zum Nachlegen noch drei weitere Bücher dieser Roman Serie «Alle Toten fliegen hoch».
Andi Zeisler «Wir waren doch mal Feministinnen»
Beyoncé, Taylor Swift und Emma Watson setzen sich für feministische Themen ein. Das reicht noch nicht zur echten Feministin, sagt Andi Zeisler. Ihr Buch zeigt brillant auf, dass der gegenwärtige Wohlfühl-Feminismus in der Popkultur von den tief verwurzelten Formen der Ungleichheit ablenkt. Liest sich super, während man eine rosa Mütze strickt, statt sich die Achselhaare zu rasieren.
Jo Nesboe «Durst»
Oha! Ein Serienkiller findet seine Opfer auf Tinder. Harry Hole ermittelt, als eine weitere junge Frau verschwindet. Der Täter ist kein Unbekannter für Harry Hole. Ein echter Page-Turner, diese skandinavische Krimi-Perle.
John le Carré «Das Vermächtnis der Spione»
Er ist der Grossmeister der Spionagegeschichten. Seine Bücher sind Kult. Warum mussten die Agenten 1961 an der Berliner Mauer sterben? Hat der britische Geheimdienst sie zu leichtfertig geopfert? Ein spannungsgeladenes Verhör über die dunklen Seiten der Geheimdienste.