Edda aus Bern hat selbst Winternächte auf Friedhöfen, in Schrebergärten und im Wald verbracht. Und auch ein junger Mann aus Zürich, der in der Reportage anonym bleibt, schildert Nächte in verlassenen Wohnwagen oder im Spielhaus vor einer McDonald’s-Filiale.
Draussen zu übernachten sei die letzte Möglichkeit, wenn einem nichts anderes übrigbleibe, so die heute 22-jährige Edda. «Aber irgendwann gehen dir die Freunde aus, bei denen du für die Nacht noch unterkommen kannst», sagt sie.
Gerade bei jungen Frauen würde dieser Umstand häufig ausgenutzt. Ein Dach und ein Bett hätten oft einen Preis: «Sei es eine sexuelle Gegenleistung oder das Abhängigkeitsverhältnis zu dubiosen Typen an sich», führt die Bernerin aus.
Wie wird man so jung obdachlos?
Darja Baranova leitet die Notschlafstelle für jugendliche Obdachlose der Stiftung Sozialwerk Pfarrer Sieber in Zürich. «Bei einigen ist es Gewalt im Elternhaus, die sie auf die Strasse treibt, bei anderen, dass sie mit den Strukturen in Heimen nicht zurechtkommen oder auch einfach Schicksalsschläge», sagt sie.
Auch Drogen oder psychische Probleme würden die Situation häufig verschlechtern. Und auch Edda sagt: «Es gibt so viele individuelle Geschichten wie Menschen auf der Strasse. Der eine Grund existiert nicht.»
Niederschwelligkeit als Ansatz
Es gibt tatsächlich viele eher längerfristige Angebote für Jugendliche in Krisensituationen, aber häufig ist der Zugang hindernisreich. Die Finanzierung muss geklärt sein oder eine Gefährdungsmeldung der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) vorliegen, damit Jugendliche überhaupt platziert werden können. Dabei könne viel Zeit verloren gehen, sagt Darja Baranova.
Oft bräuchte es aber eine schnellere und unkomplizierte Lösung. Gerade wenn Jugendliche direkt von Zuhause kämen, noch nicht im System seien und auch keine Ahnung hätten, was beispielsweise ein Beistand sei. Deshalb können bei der Jugendnotschlafstelle in Zürich 16- bis 23-Jährige selbstbestimmt anklopfen – ohne vorherige Abklärungen.
Dass die Grenze nicht strikt bei 18 Jahren angesetzt ist und auch Ältere Zugang erhalten, scheint nicht zufällig. «Mit 18 verliert man auf der Strasse den Welpenschutz und ab dann wird man wie eine erwachsene Person behandelt», sagt Edda.
Brücke in die Gesellschaft
Die Notschlafstelle sei aber keine längerfristige Lösung, betont Darja Baranova: «Wir decken die Grundbedürfnisse Essen, Schutz und Beratung ab und suchen dann nach einer Stabilisierung der Situation Anschlussmöglichkeiten.» Die wenigsten würden länger als drei Monate bleiben.
Notschlafstelle für Jugendliche in Bern geplant
Ab Januar 2022 soll es auch in Bern eine Notschlafstelle spezifisch für junge Menschen geben. Es wäre nach derjenigen in Zürich die Zweite dieser Art in der Schweiz.