Utopie oder Vision? Die Schweiz ist das erste Land, dass über das bedingungslose Grundeinkommen abstimmt.
Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen. Das ist das Ziel der Initianten.
Wie viel man monatlich bekommen soll, ist offen. Meist wird von einem Betrag von 2'500 Franken für Erwachsene und 650 Franken für Minderjährige ausgegangen.
Das Grundeinkommen ist nicht als Lohn zu verstehen, sondern als bedingungsloser, nicht an Arbeit gekoppelter Beitrag, den alle erhalten sollen. Die Abstimmung ist am 5. Juni 2016.
Die Einen bezeichnen die Idee als Vision, die Anderen als Utopie. Wir haben mit beiden Seiten gesprochen und beiden die gleichen Fragen gestellt. Hier die Ansicht von Mitinitiant Daniel Häni.
Angenommen, Fritzli bezieht 2'500.- im Monat - aus welchem Topf kommt dieses Geld?
Häni: Das ist noch nicht bestimmt und das haben wir ganz bewusst so gemacht.
Stell dir vor, man würde anhand eines persönlichen Vor- oder Nachteils abstimmen über den Grundsatz, ob man überhaupt eine bedingungslose Existenzsicherung will. Der Entscheid wäre qualitativ viel schlechter. Es geht nicht um persönliche Vor- und Nachteile, es ist eine Grundsatzfrage.
Es ist eine Frage, die an jeden einzelnen geht: Bin ich bereit, dass die Existenz meines Mitmenschen nicht mehr über das Geld in Frage gestellt wird, sondern, dass die Existenz bedingungslos ist.
Würde Fritzli arbeiten? Es kommt ja so oder so Geld rein...
Häni: Das müsste man Fritzli fragen bzw. es ist jede Person selber gefragt.
Man kann jetzt schon ziemlich gut voraussagen, dass die Position jedes Menschen - gerade die des Arbeitnehmers - gestärkt wird. Weil man mehr auf Augenhöhe zum Arbeitgeber steht. Die Arbeitnehmer sind weniger manipulierbar und können zu einem Arbeitsangebot auch «Nein» sagen. «Nein» sagen zu können ist eine Voraussetzung dafür, zu etwas anderem kräftiger und stärker «Ja» zu sagen.
Wie werden die Erwerbstätigen und die Nicht-Erwerbstätigen wie Fritzli zueinander stehen?
Häni: Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen würden sie solidarischer zueinander stehen. Es gibt eine Statistik, die zeigt, wie viele Arbeitsstunden bezahlterweise und unbezahlterweise geleistet werden (Anm. d. Red.: Zum Beispiel Kinderbetreuung oder die Pflege von kranken oder alten Familienmitgliedern).
Es ist schon heute so, dass mehr Arbeitsstunden unbezahlterweise geleistet werden. Man kann sagen, dass es ungerecht ist, dass gearbeitet wird, es dafür aber kein Geld gibt.
Häni: Die Steuern würden im Volumen steigen, aber insgesamt hätte der Staat weniger Bestimmungsmacht, weil das Grundeinkommen ja bedingungslos ausgezahlt wird. Es wäre weniger Kontroll- und Bürokratieaufwand.
Wir haben heute einen Sozialstaat, in dem allen, die sich nicht selber helfen können, geholfen wird. Das ist der Konsens in unserer Gemeinschaft. Das heisst, man muss auch nachweisen, warum man sich nicht selber helfen kann. Das bedingungslose Grundeinkommen würde einen davon erlösen.
Angenommen, Fritzli arbeitet 60 Prozent und verdient 3'000 Franken im Monat. Dann hätte er «nur» 500 Franken mehr als jemand, der gar nicht arbeitet, obwohl er drei Tage in der Woche auf der Matte steht.
Häni: Fritzli hätte den grössten Teil seines jetzigen Einkommens ohne die Bedingung der Arbeit. Er könnte noch viel freier entscheiden, wo er sich engagiert und in welcher Firma er mitarbeiten will. Das würde zu Innovation und zu einer besseren Qualität der Arbeit führen
Er könnte noch viel freier entscheiden, wo er sich engagiert und in welcher Firma er mitarbeiten will. Das würde zu Innovation und zu einer besseren Qualität der Arbeit führen
Wenn man etwas tut, was man nicht will, ist man nicht mit dem ganzen Herzen dabei. Das merkt man auch in der Qualität. Ich weiss als Gastronom: Wenn jemand Gastgeber ist, es aber nicht sein will, merkt man das sofort.
Fritzli könnte sich auch sagen: Warum arbeiten, wenn ich Grundeinkommen beziehen kann und daneben schwarz was dazuverdienen kann?
Häni: Schwarzarbeit ist Arbeit, die man dem staatlichen Zugriff an Abgaben und Steuern entzieht. Das bedingungslose Grundeinkommen würde in dem Sinn nichts daran ändern - nur, dass der Teil - also angenommen 2'500 Franken für einen Erwachsenen - sowieso schon gesichert ist. So entfällt dieser Teil der kriminellen Schwarzarbeit.
Angenommen, Fritzli macht seinen Job aus Leidenschaft. Dann wird er vermutlich weiterhin arbeiten. Aber wenn er für einen lächerlichen Lohn WCs putzt, wird er vermutlich nicht mehr arbeiten...
Häni: Sagt man Dreckarbeit, weil sie Dreck weg macht, oder ist sie dreckig, weil sie unfair entlohnt wird? Ich sehe drei Möglichkeiten:
- Arbeiten, die nicht gerne gemacht werden, werden von Robotern und Algorithmen übernommen. Die Digitalisierung ist gross im Kommen.
- Man muss erklären, warum es Sinn macht, beispielsweise einen Raum zu putzen. Man müsste über den Sinn motivieren und wenn das nicht reicht, mit mehr Geld motivieren. Was man Drecksarbeit nennt, könnte man nicht mehr so schlecht bezahlen, wie heute.
- Wenn man etwas, dass gemacht werden muss, ganz wichtig findet, wäre die Konsequenz, dass man sich engagiert und es selber macht.
Fritzlis Frau arbeitet und bringt 8'000 Franken heim. Fritzli arbeitet nicht, bekommt aber durch das bedingungslose Grundeinkommen 2'500 Franken. Ihre beiden Kinder bekommen zusammen 1'300 Franken. Macht zusammen 11'800 statt wie bisher 8'000 Franken.
Häni: Familien würden profitieren.Aber das Grundeinkommen ist keine Rechenaufgabe, kein Mathetest. Die Frage ist, ob man seinen Mitmenschen so viel Vertrauen schenkt und davon ausgeht, dass sie von sich aus tätig werden. Oder ob man statt von Menschen von Faultieren ausgeht.
Familien würden profitieren.
Wenn sich Fritzli und seine Frau trennen und die Kinder zu Fritzli gehen, bleiben Fritzli nach dieser Rechnung nur noch 3'800 statt 11‘800 Franken.
Häni: Die Alleinerziehenden werden den Nachteil nicht mehr haben, den sie heute haben: Dass sie Erwerbsarbeit leisten und die Kinder mitfinanzieren müssen. Mann weg, Grundeinkommen bleibt.
Die Alleinerziehenden haben das grösste Armutsrisiko in unserer Gesellschaft. Dies würde mit dem bedingungslosen Grundeinkommen viel besser aufgefangen
Fritzli und seine Freundin kommen im Monat zusammen auf 10'500 Franken (er verdient 8'000 Franken, sie bezieht 2'500 Franken Grundeinkommen). Wäre Fritzli Single, käme er trotz Arbeit «nur» auf 8'000 statt auf 10‘500 Franken.
Häni: Das bedingungslose Grundeinkommen würde ja einen freien Arbeitsmarkt schaffen. Frei heisst, man kann, muss aber nicht teilnehmen. Die Alleinstehenden, die nicht für andere sorgen, hätten einen Nachteil, weil sie nicht für jemanden sorgen, der auch ein Grundeinkommen bekommt.
Aber der Nachteil ist ein Vorteil für die, die für andere sorgen: Die Ungerechtigkeit, zwischen denen, die Alleinstehend sind und denen, die für andere sorgen, würde durch das bedingungslose Grundeinkommen aufgehoben.
Einerseits muss Fritzli, der drei schlecht bezahlte Jobs gemacht hat und nicht über die Runden kam, nicht mehr arbeiten und kann trotzdem ohne finanzielle Sorgen leben.
Andererseits profitiert auch ein vermögendes Paar: Verdient ein Teil 12'000 Franken im Monat, bekommt der Partner trotzdem 2'500 Franken - auch wenn er keine Erwerbstätigkeit hat und die beiden auch so schon mehr als genug zum Leben haben...
Häni: Jetzt kannst du das mit deinen Fritzli-Rechnungen rauf- und runterrechnen, aber darum geht es nicht.
Es geht nicht um den Taschenrecher, sondern darum, sich zu überlegen, wie ich über meine Mitmenschen denke. Ob es meine Feinde sind, gegen die ich mich mit Taschenrechner und Ellbogen durchsetze, damit ich besser dastehe. Man muss sich überlegen, dass es meine Mitmenschen sind, von denen ich lebe, die für mich arbeiten. Diesen Bewusstseinsschritt wollen wir anregen mit der Abstimmung.
Ist es fair, wenn die Zürcher, die in einer der teuersten Regionen der Schweiz leben, gleichviel bekommen wie Fritzli, der im Uri lebt? Laut einer Studie der Credit Suisse aus dem Jahr 2011 ist Uri einer der günstigsten Kantone. Ist es fair, wenn alle gleich viel bekommen, auch wenn die Lebenskosten unterschiedlich sind?
Häni: Heute sind die Preise in den Zentren, gerade in Zürich, höher als auf dem Land. Das ist heute so und wird wahrscheinlich auch in Zukunft so sein. Wenn das bedingungslose Grundeinkommen sich auch an diese Unterschiede anpassen müsste, würden wir im Moment zu weit gehen. Das Grundeinkommen soll nur die Existenz sichern.
Viele flüchten vielleicht dann auch aufs Land. Das wäre vielleicht gar nicht so schlecht, wenn wir uns nicht mehr alle in der City auf den Füssen herumstehen müssen.
Häni: Zunächst wäre es für Einwanderer ein Nachteil, weil sie nicht von Tag 1 an grundeinkommensberechtigt wären.
Die andere Sicht ist - das kommt vor allem von der SVP - dass es eine noch grössere Masseneinwanderung gäbe. Ich glaube, dass das bedingungslose Grundeinkommen migrationsneutral ist.
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Häni: Man muss nicht zuerst ein guter Mensch sein, um ein Grundeinkommen zu bekommen. Umgekehrt ist an uns als Gesellschaft die Frage gestellt, ob wir uns als Mitmenschen akzeptieren, ohne Bedingungen zu stellen. Zum Beispiel, dass man nicht arbeiten darf, um Arbeitslosengelder zu empfangen. Mit solchen Widersprüchen wollen wir aufräumen.
Und wir sind voll in der Zeit, wenn man schaut, was mit der vierten industriellen Revolution kommt. Alles, was man berechnen kann und was Fleiss und Disziplin erfordert, werden Roboter machen. Darum rufe ich auf, sich zu überlegen, wie es in zehn, zwanzig Jahren aussehen wird.