Es gibt viel zu tun für die Gassenarbeiter, weil immer mehr Leute den Weg zum «Schwarzen Peter» suchen. Darum hat der Verein expandiert: die Räumlichkeiten nebenan dazu gemietet und mehr Personal angestellt.
«Es wäre besser, uns würde es nicht brauchen», sagt Yvonne Bürgin vom «Schwarzen Peter». «Wenn wir expandieren, heisst es, dass wir einen enormen Zuwachs an Leuten verzeichnen, die zu uns kommen.»
Es wäre besser, uns würde es nicht brauchen.
Vor zwei Jahren seien sie richtig überrannt worden, sagt Yvonne Bürgin, vor allem von der unteren Mittelschicht. Das alles aufzufangen sei extrem viel Arbeit gewesen. Es sei eine zusätzliche Stelle geschaffen worden, um den Ansturm zu bewältigen.
Sex gegen Schlafplatz
Zurzeit haben rund 400 Leute beim «Schwarzen Peter» eine Meldeadresse. Das heisst, dass sie keine eigene Adresse, kein Dach mehr über dem Kopf haben. Vor sechs Jahren waren 100 Leute gemeldet beim «Schwarzen Peter», seither steigen die Zahlen stetig nach oben.
Von den 400 aktuell gemeldeten Leuten, lebten 40 auf der Strasse, sagt Yvonne Bürgin. Betroffen sind Junge und Alte. Sie erzählt von einer 82 Jahre alten Frau, die auf der Strasse gelebt habe: «Als sie endlich eine Wohnung gefunden hatte, verstarb sie zwei Tage später.»
Ein grosser Teil lebt in einer versteckten Obdachlosigkeit. Die Betroffenen kommen da und dort unter. Bei Freunden, bei Bekannten. Was auch immer wieder vorkommt: Dass Frauen gegen Sex einen Schlafplatz bekommen. So sieht es aus, wenn Not ausgenützt wird.
Immer mehr Leute aus dem Mittelstand betroffen
«In all den Jahren, in denen ich als Gassenarbeiterin tätig bin, habe ich noch nie eine solche Zunahme von Leuten aus einer Schicht erlebt, bei denen man nie gedacht hätte, dass sie so schnell einen solchen Abstieg erleben. Wir sprechen hier von Leuten, die vorher 3000 Franken Miete bezahlt haben. Das erleben wir sehr oft und das finde ich beängstigend.»
Wir sprechen hier von Leuten, die vorher 3000 Franken Miete bezahlt haben.
Wie stürzt man von so hoch nach so tief?
Yvonne Bürgin erzählt von einem Gast, der früher auf der Bank gearbeitet hat. Dann verlor er die Stelle, wurde wegrationalisiert mit Mitte 50. Er habe x Bewerbungen geschrieben, aber entweder sei er zu alt oder überqualifiziert gewesen, sagt die Gassenarbeiterin.
Es schlage auf die Psyche, wenn man ständig Absagen bekomme. «Jede Absage ist ein Hammer mehr», sagt Yvonne Bürgin. Viele hätten keine Strategie, merkten nicht, dass sie in eine Depression laufen. «Bis die Falltüre aufgeht», seufzt Yvonne Bürgin. Wenn dann die Zeit auf dem Arbeitsamt vorbei sei und das Sozialamt anstehe, sei das eine ganz andere Schiene: «Das ertragen viele nicht.»
Die meisten warten zu lange, um zu merken, dass sie Probleme haben und eigentlich Hilfe brauchen.
Anders sei das bei Leuten, die das Leben von unten bereits kennen. «Wer schon unten war und mit 50 den Job verliert, hat andere Strategien», sagt Yvonne Bürgin.
«Die meisten warten zu lange, um zu merken, dass sie Probleme haben und eigentlich Hilfe brauchen», sagt die Gassenarbeiterin, «es ist ganz viel mit Scham besetzt, so geht viel kaputt»