Amerika, Mitte der 60er-Jahre: In grossen Städten wie New York finden immer mehr «Drag Competitions» statt, in denen als Frauen verkleidete Männer gegeinander antreten. Homophobie ist weit verbreitet, zusätzlich kämpfen Teilnehmer*innen der afroamerikanischen und der Latino-Community mit Rassismus. Bei den Wettbewerben landen ausschliesslich weisse Drag Queens auf dem Podest, Personen mit Transgender-Hintergrund haben ebenfalls keine Chance.
Frustriert und wütend schliessen sich die betroffenen Gruppen zusammen und begründen ihr eigenes System: die Ballroom-Kultur. In den Untergrundclubs von Harlem wird an «Balls» gegeneinander angetreten und der Lifestyle der weissen Oberschicht imitiert. Selbstbewusste Darbietungen und aufwändige Kostüme werden vom Publikum gefeiert und von einer Jury bewertet, den Sieger*innen winkt eine glitzernde Trophäe inklusive Preisgeld. Das Ziel dieser Balls: Gemeinsam überleben und Menschen eine Plattform geben, die sonst nirgends willkommen sind.
Das kleine Ballroom-ABC
Im Verlauf der Jahre hat sich Ballroom vom queeren Mikrokosmos zur weltbekannten Subkultur entwickelt. Neben eigenen Regeln und Umgangsformen zeichnet sie sich vor allem durch ihre charakteristische Sprache aus. Hier ist eine Auswahl der wichtigsten Begriffe:
- Category: Kategorie, in der die Teilnehmer*innen an einem Ball gegeneinander antreten. Zu Beginn der Balls wurde zwischen Runway, Realness und Performance unterschieden.
- Voguing: Tanzstil des Ballrooms, der sich an statischen Posen von Supermodels orientiert. Er wird in die drei Kategorien Old Way, New Way und Vogue Femme unterteilt.
- House: Künstlerisches Kollektiv, das unter dem gleichen Namen an Balls antritt (z.B. House Of Pendavis) und als Wahlfamilie dient. Oftmals ist es eine Anlaufstelle für queere Jugendliche, die verstossen wurden oder auf der Strasse leben.
- Mother/Father: Herr*in eines Houses, welche*r für die Kinder sorgt, sie auf die Balls vorbereitet und Entscheidungen für die Gruppe trifft. Das Geschlecht spielt keine Rolle, ein Mann* kann eine Mother sein und umgekehrt.
- Werk: Unterstützender Ausruf, der Begeisterung und Bewunderung für eine Leistung ausdrückt (z.B. «Yes bitch, werk!»)
- 10s, 10s, 10s accross the board: bestmögliche Bewertung für eine Darbietung. Der Ausdruck kommt daher, dass alle Mitglieder der Jury die Tafel mit der höchsten Zahl 10 hochhalten.
Ballroom in der Schweiz
Bei uns ist Ballroom zwar nach wie vor ein Nischending, verbreitet sich aber immer weiter. Unter anderem zu verdanken ist das Performer und Eventproduzent Ivy Monteiro, der zu den wichtigsten Figuren gehört, wenn es um Ballroom in der Schweiz geht. Im Tanzhaus Zürich bietet er Voguing-Workshops an, zusammen mit Brian McCabe und Dominik Cavalli veranstaltet er den Kweer Ball und seit kurzem ist er stolze Mother seines eigenen Houses, dem House Of B. Poderosa.
Im Ballroom kannst du sein wer auch immer du willst und weisst, dass du dafür sogar Applaus bekommst.
Im Vergleich zu unseren Nachbarländern wie Deutschland oder Frankreich steht die Schweizer Szene noch am Anfang. Daher hofft Ivy Monteiro, dass sie sich in den nächsten Jahren etablieren kann und eine eigene Charakteristik annimmt. Wichtig ist ihm, dass trotz des momentanen Trends nicht untergehe, woher die Ballroom-Kultur kommt. Denn vor lauter Glamour werde schnell vergessen, dass es auch in der heutigen Zeit Menschen gibt, die diese Plattform zum Überleben brauchen. Grundsätzlich sei aber jede queere Person willkommen, die Respekt zolle und zeige, warum sie Teil dieser Kultur werden möchte. Eine tolle Performance oder ein süsses Outfit allein reiche aber nicht.
Mehr Ballroom? Here you go!
- Filme: Paris is Burning (1990), How Do I Look (2006), Kiki (2016), Strike A Pose (2016)
- Serien: Pose (FX), Legendary (HBO), Rupaul's Drag Race (HBO), My House (Vice)
- Bücher: Stuart Baker - Voguing And The House Ballroom Scene Of New York, Marlon Bailey - Butch Queens Up In Pumps, Joseph Cassara - The House Of Impossible Beauties