Bereits im Kindergarten hadert der heute 39-jährige Chris mit seinem Umfeld. Viel zu laut ist es, zu viele Menschen sind um ihn herum: «Ich bin regelmässig aus dem Kindergarten abgehauen und nach Hause gegangen, wo ich mich sicher fühlte».
In der Schule wird bei Chris Legasthenie, eine Schreibschwäche, diagnostiziert. Er fühlt sich dadurch vernachlässigt: «Egal was du machst, man muss immer zuerst schreiben lernen», stellt er konsterniert fest.
Ab der vierten Klasse wird Chris in eine Förderschule geschickt. Für ihn ein Entscheid, der an seinem Selbstvertrauen nagt. Trotz allem arbeitet er sich hoch und schafft den Hauptschulabschluss, was für ihn ein Erfolgserlebnis ist.
Egal was du machst, wer du bist, du kannst einfach nicht schreiben.
Schon zu dieser Zeit wird Chris von Selbstmordgedanken geplagt. Die Wut und der Hass über sich selbst sind seine ständigen Begleiter: «‹Du bist nichts wert, die Welt wäre besser ohne dich›, solche Gedanken habe ich schon lange», sagt er. Bereits als Kind zieht er sich eine Plastiktüte über den Kopf, lässt aber wieder davon ab. Christ flüchtet in die Musik, fühlt sich beim Metal aufgehoben: «Dort muss es nicht immer schöne heile Welt sein».
Andere Leute haben Urvertrauen, ich habe Selbstzweifel.
Eine erste Depression
Nach der Schule schliesst Chris eine Lehre ab, zeugt mit seiner damaligen Partnerin ein Kind, versucht sich hochzuarbeiten und denkt, dass es nun vorwärts geht. Doch wie er feststellen muss, kommt es im Leben immer anders, als man es sich vorstellt. Die Beziehung geht in die Brüche. Er verliert seine Stelle und findet sich in einer Abwärtsspirale wieder.
Als Chris an einer Party ist, ruft ein Freund aus Sorge um ihn die Sanität. Er erzählt ihnen, sein Kollege habe Suizidgedanken. Als die Sanität und die Polizei eintreffen, willigt Chris ein, sich in der kommenden Woche einweisen zu lassen.
Danach verbringt Chris ein halbes Jahr in einer Klinik: «Man kriegt einen festen Rahmen und wird reanimiert», erinnert er sich. «Wenn man sich in einer Depression befindet, kann man keine Entscheide mehr für sich treffen, und diese werden dir in der Klinik abgenommen.»
Rückfälle und ein Suizidversuch
Er schliesst seinen Aufenthalt in der Klinik mit der Erkenntnis ab, dass alles wieder vorbeigeht, auch wenn es noch so düster ist. Doch innerhalb von zwei Jahren kehrt die Depression zurück, dieses Mal noch stärker. Der Tod seines Grossvaters belastet Chris sehr. Auch die Beziehungen zu seiner Ex-Partnerin und der gemeinsamen Tochter belastet ihn. Zudem ist er mit seiner Arbeit unzufrieden.
Schlussendlich werden die Selbstzweifel zu viel. Beim Autofahren beschliesst er, sich das Leben zu nehmen: «Ich fahr nach Hause, schau was ich für Medikamente zuhause habe und nehme ganz viele Tabletten.»
Glücklicherweise schlägt der Suizidversuch fehl, denn seine Eltern, die nebenan wohnen, finden ihn und bringen ihn zum Arzt. Man entschliesst, dass er wieder eine Klinik besuchen soll, dieses Mal dauert der Aufenthalt sieben Monate: «Rückblickend ist ein solcher Aufenthalt immer heilsam und gut», muss er feststellen. Nach dem Aufenthalt in der Klinik begräbt sich Chris in seiner Arbeit und fängt an, mit seiner jetzigen Band Musik zu machen.
Man will nicht für andere eine Belastung sein.
Doch nach sieben Jahren kehrt die Depression zurück. Chris empfindet seinen Alltag immer belastender, zieht sich von seinem Umfeld zurück und spürt selbst, dass er wieder in eine Depression rutscht. Er entscheidet, sich wieder behandeln zu lassen. Dieses Mal in einer Tagesklinik: «Man arbeitet an sich und wird immer wieder mit sich selbst konfrontiert», sagt der 38-Jährige über diese Zeit.
Es ist deine Seele, die dich auffrisst.
Ein langer Kampf, der weitergeht
«Man möchte niemanden damit belasten», gesteht Chris. Obwohl er rational verstehen kann, dass es bei ihm im Leben gut läuft: «Du hast einen Job, du hast Kinder, du hast eine Band.» Aber im Innern frisst es ihn auf. Dennoch kämpft Chris weiter: «Man muss für alle da sein, aber als erstes muss man für sich selbst da sein, erst dann kann man wieder zurückgeben».
Chris hat gelernt, dass er sein Wesen akzeptieren muss. Gleichzeitig kämpft er gegen den Impuls, gegen die innere Stimme, was sehr kräftezehrend sein kann. Dennoch versucht er, das Positive zu sehen: «Jede Depression, jeder Rückschlag ist eine Chance, wieder auf Reset zu drücken».