An seine Schulzeit hat Damian (25) nicht nur schöne Erinnerungen. Er wird ausgeschlossen, gemobbt und gepeinigt.
Ich wurde an einen Pfosten gebunden und mit Ruten geschlagen.
Ein Erlebnis hat ihn besonders geprägt: Nach dem Unterricht packen ihn vier Mitschüler, tragen ihn hinaus und binden ihn mit einem Volleyballnetz an einem Pfosten fest, sodass er sich nicht mehr bewegen kann. «Sie haben mich mit Ruten geschlagen. Ich war ausgeliefert und es tat mir nicht nur körperlich, sondern auch psychisch weh», erinnert er sich. Wieso immer er gemobbt wird, kann er nicht sagen. «Sie haben immer einen Grund gefunden.»
Ein anderes Mal wird er in ein Iglu eingesperrt, obwohl er an Platzangst leidet. «Ich bin überzeugt, dass diese Vorfälle auch die Lehrpersonen mitbekommen haben.» Schliesslich sei er in eine kleine Schule gegangen mit insgesamt rund 30 Schüler*innen im ganzen Schulhaus. «Wieso sie nichts unternommen haben, weiss ich nicht. Ich selber hatte Angst, mich ihnen anzuvertrauen.» Auch sonst erzählt er niemandem davon: «Ich hatte Angst, es würde noch schlimmer werden.»
Die ersten Symptome
In der Oberstufe will er alles anders machen. «Ich habe versucht, ein anderer Mensch zu sein. Ich dachte, wenn ich wieder alles gleich mache, passiert auch wieder das Gleiche.» Besser geht es ihm deswegen nicht. Mit 15 Jahren tauchen die ersten psychischen Symptome auf, was ihm damals aber noch nicht bewusst ist. Es fängt damit an, dass er nicht mehr gerne nach draussen geht und ständig Angst hat, dass die Menschen um ihn herum etwas Schlechtes tun wollen. «Ich fühlte mich ständig beobachtet», erzählt Damian. An eine direkte Verbindung zum Mobbing aus der Kindheit glaubt er nicht, aber: «Das Mobbing war bestimmt einer der Gründe, weshalb ich psychisch krank wurde.»
Ich konnte nur noch mit dem Rücken an die Wand sitzen, weil ich mich so unwohl fühlte.
Plötzlich hört Damian Stimmen in seinem Kopf und Geräusche, die gar nicht da sind. «Zuerst habe ich niemandem davon erzählt, weil ich dachte, das passiert jedem mal.» Doch seine Motivation, nach draussen zu gehen, sinkt immer mehr. Er fühlt sich unwohl und gestresst. «Ich konnte nur noch mit dem Rücken an eine Wand sitzen, ansonsten fühlte ich mich unwohl.»
Mittlerweile 16-jährig, nimmt Damian seinen Mut zusammen und erzählt seinem Vater davon. «Dieser hat sehr gut reagiert und mir gesagt, ich solle doch zum Arzt gehen.» Dafür braucht der Teenager noch mehr Mut: «Ich habe über eine halbe Stunde gebraucht, meinen Arzt anzurufen. Ich habe mich geschämt, zugeben zu müssen, dass es mir psychisch nicht gut geht.» Beim Hausarzt fühlt er sich ernstgenommen und er wird an eine Jugendpsychiaterin überwiesen.
Ich sagte allen, ich würde zur Physiotherapie gehen.
Doch Damian hat damit zu kämpfen, möchte niemandem davon erzählen. «Nicht einmal mein Bruder wusste, wohin ich gehe. Ich sagte allen, dass ich wegen meines Knies in die Physiotherapie muss.»
Doch die Psychiaterin hilft Damian und neben der Therapie bekommt er Medikamente verschrieben. «Ich schämte mich, diese in der Apotheke bei mir daheim zu holen, weil ich Angst hatte, jemand würde mich kennen.» Allen etwas vorzumachen, Lügen und Konstrukte in seinem Kopf aufzubauen, ist anstrengend für ihn.
Zusätzlich ist er wegen den Medikamenten oft müde. So müde, dass er an einem Schultag einfach seinen Kopf aufs Pult legt und schläft. Die Mitschüler*innen versuchen ihn zu wecken, ihm zu helfen, doch: «Ich bin nur noch vor mich hinvegetiert.» Während der Mittagspause geht er zur Psychiaterin – und danach noch am selben Tag in eine Klinik. «Ich hatte mittlerweile auch Suizidgedanken. Ich wollte dieses Leben so nicht mehr weiterleben», erinnert sich der 25-Jährige.
Eintritt in die Psychiatrie
Sein Vater begleitet ihn in die Psychiatrie. Damian fühlt sich unsicher und hat ein Bild von Ärzten in weissen Kitteln, Spritzen und schreienden Patient*innen im Kopf. «Ich fühlte mich wie ein Versager.» Doch was er dort antrifft, überrascht ihn positiv. «Wir hatten meistens eine gute Zeit, haben zusammen Sport gemacht oder auch mal gegen die Ärzte Tischfussball gespielt.» Was ihm aber besonders guttut: Er sieht, dass er nicht alleine mit seinen Problemen ist. Dass es anderen ähnlich geht wie ihm.
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Eine Ausbildung und Aufklärung für andere
Nach ein paar Monaten kommt er auf eine andere Station, auf der er selbstständiger sein kann. Zusammen mit der IV und einem Job-Coach startet die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Er findet eine Lehrstelle mit einem verständnisvollen Chef. «Trotzdem wurde ich nicht einfach mit Samthandschuhen angefasst, sondern einfach wie ein ganz normaler Lernender behandelt.» Damian schliesst seine Ausbildung erfolgreich ab – so erfolgreich, dass er gleich noch die Berufsmatura und ein Studium anhängen will. Obwohl die IV ihm das nicht zutraut, packt er das an und studiert mittlerweile im 2. Semester.
Niemand soll sich so fühlen wie ich damals als Teenager.
Heute möchte Damian anderen Jugendlichen helfen, die in der gleichen Situation sind, wie er damals. «In der Schule wird über Drogen und Sexualität gesprochen, aber nicht über psychische Krankheiten.» Das möchte er ändern: Sein Ziel ist es, zusammen mit einer Fachperson – einem*r Psychiater*in oder Psychologen*in – in Schulen zu gehen und über genau diese Thematik zu reden. «Die Schüler*innen sollen merken, dass es wichtig ist, darüber zu sprechen. Es ist okay, wenn du Hilfe brauchst und es gibt Möglichkeiten. Niemand soll sich schämen und so fühlen wie ich damals.»