Die Frage: «Wie geht es dir?» bei der Begrüssung wird fast schon automatisch gestellt. Ebenso automatisch erwartet man als Antwort meistens ein «Danke, gut». Wirklich bereit, sich die Sorgen des Gegenübers anzuhören, ist man in diesem Moment selten. Das weiss auch Doris. Häufig versteckt sie ihr inneres Befinden, wenn sie mit dieser Frage konfrontiert wird. «In Wahrheit kann ich diese Frage selten positiv beantworten und ich möchte nicht immer die sein, die rumjammert», erzählt sie.
Seit fünf Jahren leidet Doris an chronischen Schmerzen in Knie und Rücken. Ihr Leidensweg begann jedoch schon viel früher. Geboren wurde die gebürtige Bernerin mit einer Hüftdysplasie. Dabei handelt es sich um eine Fehlstellung und Verknöcherungsstörung des Hüftgelenks. Als Folge davon lag Doris im jungen Alter von sechs Monaten sechs Wochen lang im Spital, häufig getrennt von den Eltern. «Heute weiss ich, dass auch ein Teil meiner psychischen Probleme aus dieser Zeit stammen», stellt sie fest. Weil sie als Kleinkind so lange von ihren Eltern getrennt war, entwickelt Doris später eine Bindungsstörung.
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Ein Fass, das ständig am Überlaufen ist
Mit 13 Jahren zeigen sich bei Doris die ersten depressiven Anwandlungen. Mit 14 hat sie im Schulsport einen Unfall, was irreparable Schäden am Knie mit sich trägt. Auch wird sie in ihrer Jugend mehrmals Opfer sexuellen Missbrauchs. Diese Erlebnisse sind zu viel für das junge Mädchen. Doris beginnt, sich selbst zu verletzen. Mit 17 Jahren begibt sie sich aufgrund ihrer Depressionen und einer Bulimie erstmals in Behandlung. Obwohl die psychischen und physischen Schmerzen Hand in Hand gehen, ringt sich Doris durchs Leben und absolviert ihre Ausbildung als medizinische Laborantin.
Doch die Kombination aus psychischen und physischen Schmerzen kosten enorm viel Energie. «Man trägt den Schmerz immer mit sich und somit ist das Fass ständig leicht am Überlaufen», verbildlicht sie. «So ist man auch gegen Kleinigkeiten im Alltag nicht mehr resistent.» Nachdem sie zehn Jahre lang «funktioniert», kommt Doris 2009 an ihren Breaking Point: Sie holt sich psychologische Hilfe und beginnt, ihre traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten. Die Aufarbeitung kosten ihrer Psyche jedoch so viel ab, dass sie in eine Borderlinestörung rutscht und erneut selbstverletzendes Verhalten entwickelt. Vor elf Jahren sieht die heute 41-Jährige keine Perspektive mehr: Sie unternimmt einen Suizidversuch.
Ich wollte einfach, dass es aufhört, weh zu tun.
Aber Doris überlebt. Ihr erster klarer Gedanke, als sie ihre Eltern am Spitalbett sieht: «Diesen Schmerz darf ich meinen Eltern nie wieder antun, ich muss einen Weg finden, weiterzumachen.»
Positive Selbstfürsorge als Lebensaufgabe
Diesen Weg hat Doris heute gefunden. «Mich selbst zu akzeptieren und zu mir Sorge zu tragen, ist eine Lebensaufgabe und daran arbeite ich heute noch», gesteht sie. «Der Weg liegt in der Auseinandersetzung mit mir selbst und darin, dass ich mich ernst nehme und für mich ein Mitgefühl aufbringe, so wie ich es für andere auch tue.»
Auch wenn ich kein Licht im Tunnel sehe, weiss ich: Wenn ich um die nächste Kurve gehe, kann ich es wieder sehen.
Heute legt sie ihren Fokus auf die positiven Dinge in ihrem Leben. «Das Schönste für mich ist es, so richtig herzhaft lachen zu können und dieses freie Gefühl zu erleben», schwärmt sie. «Man muss die kleinen Momente im Leben schätzen, denn es sind genau die, die einem dazu bringen, weiter zu machen.»