Zum Inhalt springen

Rehmann Laura: «Eine Gehirnerschütterung stellte mein Leben auf den Kopf»

Den Kopf hat sich jeder schon einmal gestossen. So sehr das wehtun kann, im Normalfall heilt eine Gehirnerschütterung in circa zwei Wochen von selbst. Laura stösst sich den Kopf aber so heftig an einem Fensterrahmen, dass sie auch ein Jahr nach dem Unfall noch mit den Folgen zu kämpfen hat.

Laura macht gerade Dehnübungen und beugt sich vornüber, während über ihrem Kopf das Fenster aufgeht. Beim Aufstehen knallt ihr Kopf so hart gegen den Fensterrahmen, dass sie kurz ihn Ohnmacht fällt. Als sie wieder aufwacht, stellt sie nur sicher, dass es nicht blutet und geht ins Bett. So schlimm kann es nicht sein, wenn es nicht blutet, denkt sie.

Ich war überzeugt, dass es schnell wieder gut wird. Erst auf Druck von meinem Umfeld ging ich zum Arzt.

In den folgenden Tagen kämpft Laura bei der Arbeit mit Konzentrationsproblemen und ihr wird immer wieder schwindlig. Ein furchtbarer Kopfschmerz plagt sie und sie gerät immer wieder aus dem Gleichgewicht, kippt beim Stehen einfach zur Seite. Nach diesen Gleichgewichtsstörungen muss sie sich eingestehen, dass der Schlag wohl doch etwas heftiger war als angenommen und geht zum Arzt.

Die Ärzte finden nichts

Der Hausarzt erklärt ihr, dass das Hirn ein sehr widerstandsfähiges Organ sei und sich im Normalfall schnell wieder regeneriere. Zur Sicherheit, um innere Blutungen auszuschliessen, geht Laura in die Magnetresonanzröhre, aber die Spezialisten finden nichts.

Rehmann S.O.S. unterwegs hören

Box aufklappen Box zuklappen

Ihr Zustand will sich trotzdem nicht verbessern. Im Gegenteil: Übelkeit, Brechreiz, Schwindel und Licht- und Lärmempfindlichkeit sind an der Tagesordnung. Sie hat kein Appetitgefühl mehr und die Kopfschmerzen sind schlimmer denn je. Ihr einziges Bedürfnis in dieser Zeit ist extrem viel Schlaf: Gut 13 Stunden am Stück verbringt sie pro Tag schlafend im Bett.

Noch immer ist Laura «felsenfest davon überzeugt», dass es wieder gut kommt. Erst auf Druck ihres Arbeitgebers geht sie nochmals in eine ärztliche Untersuchung. Weil ihre Beschwerden da schon so lange anhalten, wird sie einem Neurologen überwiesen.

Von sieben einfachen Wörtern konnte ich mir gerade mal zwei oder so merken. Ich war den Tränen nahe!

Schock bei Gedächtnisübungen

Da merkt sie zum ersten Mal, wie sehr ihre Hirnfunktionen tatsächlich eingeschränkt sind. Laura war immer ein Kopfmensch mit einem vorzüglichen Gedächtnis, bei Spielen wie «Ich packe meinen Koffer» konnte sie brillieren. Nun sitzt sie da, kann sich nur noch ein einzelnes Wörter merken, scheitert an einfachen Rechenaufgaben. Da habe sie gemerkt, dass irgendwas nicht richtig funktioniere.

Die Einschränkungen treffen sie hart – vor allem im sozialen Bereich: In laute Restaurants und Bars kann sie nicht mehr, Interaktionen in Gruppen sind eine Überforderung. Früher hat Laura solche Abende mit vielen Freunden geliebt.

Früher konnte ich buchstäblich auf vier Hochzeiten tanzen. Heute reicht es halt noch für eine im Monat.

Verhängnisvolle Medikamente

Währenddessen hören die extremen Kopfschmerzen nicht auf. Die Neurologen testen ein Medikament nach dem anderen, bis Laura bei starken Opioide angelangt. «Das erste Mal fuhr richtig ein. Es knallte mich weg. Ich schlief zwei Stunden und fühlte mich danach tatsächlich besser. Ich glaubte, wir hätten endlich etwas gefunden, das hilft.»

Opioide

Box aufklappen Box zuklappen

Opioide sind eine uneinheitliche Gruppe von morphinähnlichen Substanzen. Sie wirken stark schmerzlindernd und je nach Dosis sedierend und stark euphorisierend. Bekannte Opioide neben dem Morphin sind etwa Heroin, Fentanyl und Codein.

Das High, das sie am Anfang verspürt, flaut aber schnell ab. Die Dosis wird immer weiter erhöht – bis Laura körperlich abhängig ist. Sie wird lethargisch, hat ein schlechtes Körpergefühl und Verdauungsprobleme. Ihr Umfeld merkt, dass sie nicht mehr richtig präsent ist. Laura will das Medikament absetzen.

Sie bekommt einen Plan zur Senkung der Dosis: «Im Nachhinein weiss ich, dass ich viel zu schnell runterging. Der Entzug war richtig fies.» Die erste Woche ist härteste. Der Drang nach dem Medikament ist enorm – aber Laura kämpft mit eisernem Willen dagegen an und schafft es, davon loszukommen.

Schon 40 Minuten Therapie sind für mich so anstrengend, dass ich danach zwei Stunden schlafen muss.

Leben mit den Einschränkungen

Sie ist froh, von den Opioiden wegzukommen – aber gegen die Schmerzen weiss sie nun kein Mittel mehr, sie hat alles probiert. Viel Zeit verbringt sie zuhause auf dem Sofa. Sie fragt sich, wie sie sich beschäftigen könnte, ohne sich zu überfordern, und erkundigt sich bei ihrer Mutter, wie sie sich als Kind gerne beschäftigt habe.

Diese Kindheitsbeschäftigungen nimmt sie wieder auf: Sie malt Bilder und knüpft (Freundschafts-)Bändchen. Sie sieht es als eine Art Beschäftigungstherapie.

Für Laura ist es heute am angenehmsten, wenn Freunde einzeln zu ihr nach Hause kommen und sie eins zu eins Gespräche führen kann. Die geknüpften Freundschaftsbändchen gibt sie ihnen dann jeweils mit. «Das hat für mich auch eine schöne Symbolik», sagt sie.

Die Prioritätenliste hat sich verändert. Früher standen Karriere und Geld ganz oben, heute bin ich glücklich, wenn ich es am Morgen aus dem Haus schaffe.

Laura lernt, mit ihren Einschränkungen umzugehen und diese zu akzeptieren. Ihre Prioritäten haben sich deutlich verändert. Dies zeigt sich auch als ihr vom Arbeitgeber gekündigt wird und dies sehr gefasst aufnimmt: «Es ist auch nicht so schlimm, es ist ‹nur› ein Job.»

Laura ist immer noch in Therapie, um ihren Zustand zu verbessern, aktuell im Swiss Concussion Center in Zürich. Kraft gibt ihr auch eine internationale Community, «quasi eine Online-Selbsthilfegruppe», da sie in ihrem Umfeld niemanden kennt, bei dem/der sie direkte Tipps abholen könnte.

Die wichtigste und wertvollste Stütze ist aber ihr Umfeld. Laura fühlt sich ernstgenommen und unterstützt. Ihr Partner übernimmt im Haushalt, was sie nicht mehr erledigen kann und ihre Freunde haben Verständnis, wenn Laura aus Erschöpfung ein Treffen abbrechen muss und dafür ist sie sehr dankbar.

S.O.S. – Sick of Silence

Box aufklappen Box zuklappen

Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

Meistgelesene Artikel