Die Geburt des eigenen Kindes – während dieser Moment für viele Mütter als wundervolles Ereignis in Erinnerung bleibt, war er bei Luisas Mutter der Auslöser einer schwerwiegenden, postnatalen Depression. Ein Umstand, der das Leben der jungen Familie erbarmungslos auf den Kopf stellte.
Luisas Mutter fiel es schwer, Nähe zu ihrem Kind aufzubauen – unter anderem, weil sie aufgrund der Medikamente ihre Tochter nicht mehr stillen konnte. Schon als Säugling wurde Luisa bei einer Pflegefamilie untergebracht, als die Betreuung zu Hause nicht mehr möglich war.
Es folgte ein langes auf und ab, mit einem traurigen Höhepunkt, als Luisa 11 Jahre alt war.
Mein Bruder und ich kamen am Sonntagabend nach Hause. Es brannte Licht, aber es war sehr still. Wir gingen in das Zimmer meiner Mutter, sie lag im Bett und war nicht ansprechbar. Ein Abschiedsbrief lag daneben.
Dank der schnellen Reaktion ihrer Familie überlebte Luisas Mutter den Suizidversuch. Darauf folgten aber weitere Jahre mit Therapien und stationärer Behandlung.
Trotz der belastenden Krankheit hat Luisa ihre Mutter über alles geliebt und hatte den einzigen Wunsch, dass es ihr wieder besser geht. So passierte es, dass sie als Teenager bereits unfreiwillig ihre Rolle eintauschen musste.
Ich war die Mutter, sie war die Tochter – so habe ich das erlebt. Ich habe auf sie aufgepasst, habe sogar in ihrem Bett geschlafen.
Ein Leben ohne Mutter
Die psychische Krankheit brachte Luisas Mutter an den Punkt, an dem sie die Familie definitiv verlassen musste. Während sie sich ins Bündnerland zurückzog, lebte Luisa mit ihrem Bruder – die beiden waren 14 und 17 Jahre alt – alleine im Elternhaus.
Zu Beginn begleiteten Sozialarbeiter die beiden Geschwister. Die Zustände wurden aber schnell sehr chaotisch, und als ihr Vater das vollständige Sorgerecht für die beiden Kinder beantragte, wurde es Luisa zu viel.
Mit 16 Jahren zog sie aus, lebte mit einer Punker-Clique in besetzten Häusern und engagierte sich politisch. Luisa musste früh lernen, auf eigenen Beinen zu stehen – auch eine Folge ihrer Familiensituation.
«Ich muss meinen eigenen Weg finden»
Luisas Kindheit hinterliess bei ihr tiefe Spuren. Sie fiel als junge Frau in eine Depression, musste Antidepressiva und Notfallmedikamente gegen ihr selbstverletzendes Verhalten einnehmen.
Dennoch hat sich Luisa ihrem Schicksalsschlag und den Folgen daraus nie ergeben, sondern stetig nach Glück und Sinn in ihrem Leben gesucht.
So engagierte sie sich in einem griechischen Flüchtlingscamp und halft dort Menschen in Not. Und sie arbeitete während vier Jahren in einem Mädchenhaus – eine Tätigkeit, die sie stark an ihre eigene Vergangenheit erinnerte.
Meine eigene Geschichte hat es mir ermöglicht, sehr authentisch zu sein im Umgang mit diesen Mädchen und Frauen. Es gab immer wieder Fälle von Kindern mit psychisch kranken Eltern.
Leider wirken die Folgen der Odyssee, die sie als Kind und Jugendliche erlebt hat, bis heute auf sie ein. Erst vor kurzem hatte sie in einem Postauto erneut einen Anfall, weinte zwei Tage lang durchgehend.
Doch auch die stetige Angst vor einem Rückschlag ist für Luisa kein Grund um aufzugeben. Ihr ist es auch wichtig zu betonen, dass weder sie noch andere diesen Weg alleine gehen müssen.
Es ist keine Schande, sich Hilfe zu holen. Man muss nicht alles alleine können. Es gibt Leute, die dir helfen können und dort musst du dich auch nicht schämen, über alles zu sprechen.