Vor knapp vier Monaten ist US-Techriese Apple mit «Apple TV+», der hauseigenen Alternative zu Netflix und Konsorten, gestartet.
Dafür ist Apple mit massiv viel Starpower aufgefahren: sowohl vor (Jennifer Aniston! Reese Witherspoon! Jesse von «Breaking Bad»! Khal Drogo von «Game of Thrones»!), als auch hinter der Kamera (M. Night Shyalaman! Ronald D. Moore!).
Bislang vermochte jedoch keiner von Apples exklusiven Inhalten qualitativ zu überzeugen. Da hilft es auch nichts, dass der Preis von Apple TV+ mit CHF 6.- pro Monat tiefer angelegt ist als bei der Konkurrenz.
Dank zweier neuen Serien, die Apple TV+ seit Mitte Januar, respektive Mitte Februar im Programm hat, ändert sich das nun. Apple TV+ lohnt sich. Endlich. Dank «Little America» und «Visible».
«Little America» erzählt acht nicht zusammenhängende Geschichten von Immigrant*innen, die ihr Glück in den USA gefunden haben. Die eines Studenten aus Nigeria zum Beispiel, der dank seiner Liebe zur Cowboykultur Anschluss an einen eher konservativen Teil der USA findet. Oder jene von Sylvaine aus Frankreich, die sich in einem «Silent Retreat» in einen Amerikaner verliebt.
In einer anderen Episode lernen wir Marisol kennen, eine junge Frau aus Mexiko, die ohne gültigen Pass mit ihrer Familie illegal in einer Garage haust. Dann nimmt sie aus Zufall an einem Squash-Kurs teil, findet Gefallen an der Sportart und schafft es bis in die Juniorinnennationalmannschaft der USA – und damit auch zur amerikanischen Staatsbürgerschaft.
Alle acht Geschichten beruhen auf wahren Begebenheiten, zeigen am Ende jeder Folge die Fotos der echten Protagonist*innen und sind in Zeiten, in denen Akte der Xenophobie täglich Negativschlagzeilen schreiben, eine willkommene Abwechslung.
Gleichzeitig zeigen die rund 7'000 «Daumen runter»-Bewertungen unter dem Trailer auf YouTube aber auch, wie polarisierend «positive» Einwanderergeschichten in der heutigen Zeit sind. Gottseidank lässt sich Apple davon nicht beeindrucken: Eine zweite Staffel mit acht neuen Folgen ist bereits in Produktion.
Auch unter dem Trailer zu «Visible: Out on Television» findet man viele Daumen, die nach unten zeigen. Schliesslich geht es hier um ein anderes Thema, welches gewissen Personenkreisen offensichtlich ganz fest vor den Kopf stösst: die öffentliche Sichtbarkeit der LGBT-Bewegung.
In der fünfteiligen Doku-Serie rollen viele berühmte Gesichter (u. a. Oprah Winfrey, Ellen DeGeneres, Sara Ramirez aus «Grey's Anatomy» und Neil Patrick Harris aus «How I Met Your Mother») die rund 70-jährige LGBT-Repräsentationsgeschichte mit Fokus aufs US-amerikanische Fernsehen auf.
Wir reisen zurück ins «dunkle Zeitalter» der 1960er und -70er-Jahre, als gesetzlich festgehalten wurde, dass LGBT-Personen im Fernsehen ausschliesslich in negativem Kontext gezeigt werden dürfen. Oder rollen den «Skandal» von Ellen DeGeneres öffentlichem Coming-out in den 90er-Jahren nochmals von vorne auf.
«Visible» konzentriert sich dabei ausschliesslich auf die Geschichte des US-Fernsehens. Dass beispielsweise auch im Schweizer Fernsehen zwei küssende Männer 1984 für Aufruhr sorgten, kommt nicht zur Sprache.
Trotzdem bietet diese Doku-Serie viel Archivmaterial und Aha-Momente, Erinnerungen von Zeitgenoss*innen und ist nebenbei der beste Beweis dafür, dass Fernsehen schon immer viel mehr als nur «hirnloses Geflimmer» ist, respektive war.
«Little America»: 8 von 10 Punkten.
«Visible»: 8 von 10 Punkten.