Das Erste, was einem bei «Roma» auffällt, ist nicht die atemberaubende Kameraführung oder das bis ins kleinste Detail ausgestattete Setdesign, sondern der Ton.
Meisterregisseur und Oscar-Preisträger Alfonso Cuarón («Gravity», «Harry Potter und der Gefangene von Askaban», «Children of Men», «Y Tu Mamá También») beginnt «Roma» mit einem langsamen 360°-Kameraschwenk durch ein mittelgrosses Haus in Mexiko-Stadt – und weil das Sounddesign seines achten Langspielfilms dermassen detailliert daherkommt, fühlt man sich als Zuschauer so, wie wenn man selbst mitten in dieser Villa steht. Ein Gefühl, das einem für die nächsten zwei Stunden nicht mehr loslassen wird.
Während rund 135 Minuten verarbeitet Cuarón in «Roma» seine Jugenderinnerungen an das Mexiko der 70er-Jahre, welches von Studentenunruhen durchgeschüttelt wird. Er erzählt die Geschichte mit dem Kindermädchen Cleo im Mittelpunkt, welches aus ärmlichen Verhältnissen stammt und für eine Familie aus der Mittelklasse arbeitet.
Während den Dreharbeiten ging das Gerücht um, dass Cuarón nach dem 3D-Sci-Fi-Spektakel «Gravity» mit «Roma» einen Gang zurückschalten werde. Das finale Produkt ist dank den fulminanten One-Takes technisch aber sogar noch imposanter wie Cuaróns frühere Filme.
Damit der neuste Film des mexikanischen Regisseurs vor einigen Wochen am «Zurich Film Festival» 2018 überhaupt seine Schweizer Premiere feiern durfte, stellte Cuarón eine ganz bestimmte Voraussetzung: «Roma» darf nur in einem Kinosaal gezeigt werden, der über die «Dolby Atmos»-Technologie verfügt. (In der Deutschschweiz gibt es zurzeit gerade einmal zehn Kinosäle, welche die Kapazität haben, einen Film mit dieser Vielspur-Tontechnologie zu zeigen.)
Die Ironie an dieser Sache: Lange sah es so aus, dass sobald «Roma» den Sprung von den Filmfestivals zur breiten Masse machen wird, kaum mehr jemand in den Genuss dieses Sounddesigns kommen würde. Auch die umwerfenden 65mm-Filmaufnahmen würden im Nichts verpuffen. Denn im April sicherte sich der Streaminggigant Netflix die Rechte am Film. Heisst im Klartext: Wer sich «Roma» ab dem 14. Dezember anschauen möchte, dürfte dies höchstwahrscheinlich auf einem Laptop oder Tablet machen.
Netflix mag die ideale Plattform für «kleine» Filme wie «Private Life», «To All the Boys I've Loved Before» oder «The Land of Steady Habits» sein, deren Fokus hauptsächlich auf der Story liegt. Erreicht uns aber ein Film wie «Roma», der idealerweise auf der grösstmöglichen Leinwand überhaupt konsumiert werden sollte, dann ist das ziemlich schade.
Netflix und Kinos: It’s Complicated
Dass Netflix seine Filme zeitgleich auch in «gewöhnlichen» Kinos zeigt, schien bislang ein Ding der Unmöglichkeit. Denn Netflix und die Kinos, die haben’s nicht so gut miteinander. Meistens machen sie einen weiten Bogen umeinander – und gibt es doch mal ein Aufeinandertreffen, endet es in Buhrufen.
Weil sich Netflix allerdings konkrete Hoffnungen macht, mit «Roma» an den kommenden «Oscar»-Verleihungen die eine oder andere Statue einsacken zu können, startete man heuer erneut einen Versuch, einen Netflix-Film in die Kinos zu bringen. In den USA hat das nicht geklappt, aber – Oh Wunder! – in der kleinen Schweiz dafür schon.
Ab dem 6. Dezember 2018 – also acht Tage vor dem weltweiten Start auf Netflix – werden ausgewählte Deutschschweizer Kinos «Roma» auf der grossen Leinwand zeigen. Das Zürcher Kino «Riffraff», das «Bourbaki» in Luzern, und das Basler «kult.kino» listen den Film in ihrer «Demnächst»-Sektion. In der französischen Schweiz wird das «Cinerama Empire» in Genf der einzige Ort sein, an dem man «Roma» sehen kann.
Das macht Hoffnung für die Zukunft. Filme komplett ohne Wartezeit auf dem heimischen Sofa zu schauen, mag zwar ziemlich gemütlich zu sein – aber dass uns bei anderen eindrücklichen Netflix-Blockbustern wie «The Ballad of Buster Scruggs» (Joel & Ethan Coen) oder «Outlaw King» (David Mackenzie) die Kinoleinwand bislang verwehrt blieb, war ein ziemlicher Wermutstropfen.