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Sexualität «Ethical Porn»: Masturbieren ohne Schuldgefühle

«Ethischer» Porno - was heisst das eigentlich? Hier gibt's einen Einblick hinter die Kulissen von «Oil Productions», ein Kollektiv aus Lausanne, das ethische Pornofilme macht.

«Ethischer Porno»: Wie genau kann ein Porno-Film ethisch sein? Ist es wie beim «Fairtrade»-Label beim Obst und Gemüse ?

Irgendwie schon, ja: Mit dem Label «ethisch» wird gekennzeichnet, dass alle Personen, die am Prozess des Pornofilms beteiligt sind, korrekt behandelt werden.

Wir haben uns mit Nora Smith, der Co-Gründerin des Kollektivs «Oil Productions», unterhalten. Das Kollektiv strebt an, ethischen Porno zu produzieren und ihr Arbeitsethos beruht auf vier Stützen: Consent, Safe Space, Repräsentation und Ethik.

Oil Productions

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Oil Productions ist ein Kollektiv aus Lausanne, gegründet von Nora Smith und Meli Boss. Beide haben sich mit Porno und Sexualität in ihrer Diplomarbeit und Thesis auseinandergesetzt. Das Ziel des Kollektivs, das jetzt aus sechs Mitgliederinnen besteht, ist, anhand von Pornofilmen die Frage der Sexualität zu entmystifizieren und Tabus zu brechen, sodass man frei über diese Themen sprechen kann.

Consent

Beim «Consent» («Zustimmung» auf Deutsch) handelt es sich darum, dass die Darsteller immer damit einverstanden sind, was gemacht und gezeigt wird.

Vorher: Es fängt schon vor dem Filmen an. Die Darsteller treffen sich mit dem Team von «Oil Productions» und besprechen, wie sie sich den Film vorstellen. «Wir fragen auch danach, was sie im privaten Leben mögen», erklärt uns Nora.

Obwohl über Farben, Beschaffenheit und Körperpositionen diskutiert wird, sind die Darsteller beim Filmen relativ frei.

Während: Während dem Filmen wird eine Person vom Team ausgewählt, die eine Vermittlerrolle übernimmt. Diese Person fokussiert sich nur auf die Körpersprache und Gesichtsausdrücke der Darsteller. Sobald sie Anzeichen von Müdigkeit oder allgemeinem Unwohlsein bemerkt, unterbricht sie sofort den Dreh und fragt, ob alles gut ist.

Nachher: Am Tag darauf ruft das Team die Darsteller an, um sie zu fragen, ob es ihnen gut geht und ob sie happy mit der Erfahrung sind.

Es wird auch danach regelmässig nachgefragt, ob alles ok ist. Zum Beispiel ist über einen ihrer Filme ein Artikel in einer lokalen Zeitschrift erschienen, bei dem ein Bild mit DarstellerInnen auf der Frontpage war. «Wir haben die Darsteller angerufen, um zu fragen, ob sie damit einverstanden sind, dass man sie überall nackt sehen kann.»

Dazu kommen noch Bild- und Persönlichkeitsrechte: «Wir fragen immer, ob sie damit einverstanden sind, dass man ihre Gesichter sieht, ob sie ihren echten Namen verwenden wollen etc.»

Beim «Consent» handelt es sich also um eine permanente Diskussion und Überprüfung. Es ist wichtig, dass sich die Darsteller wohlfühlen und nichts machen, worauf sie keine Lust haben.

Safe Space

Trotzdem stellt sich die Frage: Wagen Darsteller, die meistens kaum Erfahrung haben, den Dreh wirklich zu unterbrechen? Denn Drehmaterial wird meistens nur für den Drehtag gemietet, die Location ist auch nur für eine gewisse Zeit zur Verfügung etc.

Die Indieporno-Szene ist so offen, verständnisvoll, grosszügig und wohlwollend – und das wollen wir mit unseren Projekten auch vermitteln!

Weil alle in dieser Szene mehr oder weniger beruflich mit Sex zu tun haben, gibt es eine Art Community, in der alle offen über ihre Bedenken sprechen können – ohne die Angst, verurteilt zu werden.

«Es wird aber nicht immer über Sex, Vorlieben und Fetische geredet», erklärt Nora. Du hast keine Lust über dein Sex-Life zu reden? «Voll ok, solange du weisst, dass es diese Community gibt, in der sich alle wohlfühlen können und darüber reden können, wenn sie es brauchen.»

Ethik

Die Begriffe «Consent» und «Safe Space» gehören zum Arbeitsethos von «Oil Productions». Hinzu kommt noch die Frage der Arbeitsbedingungen: Das ganze Team und besonders die Darsteller sollen richtig versorgt werden.

Sie versuchen, nicht länger als eine bis eineinhalb Stunden ohne Pause zu drehen. Ein Catering steht zur Verfügung und die Darsteller werden zur Location und nach Hause gefahren.

Auch bei der Entlöhnung wird darauf geachtet, möglichst fair zu sein: «Wir versuchen, die Darsteller so korrekt wie möglich zu bezahlen.» Momentan kann «Oil Productions» ihren Darstellerinnen 300 Franken für sechs Stunden zahlen, d. h. 50 Franken pro Stunde, aber die Entlöhnung hängt vom Film und von der Drehdauer ab und kann sich je nachdem verändern.

Repräsentation

Wir wollen verschiedene Körpertypen, Sexualitäten und Ethnien darstellen.

Eigentlich gibt es bereits unterschiedliche Pornokategorien wie «Asian», «Latina», «Bi», «Transsexual», «BDSM» usw. Inwiefern unterscheidet sich das Anstreben vom ethischem Porno also vom üblichen Porno?

In Mainstream-Pornos werden diese verschiedenen Körpertypen, Sexualitäten und Ethnien hauptsächlich als Fetische dargestellt, um die Fantasien von Zuschauern zu befriedigen. In anderen Worten werden sie - wie's oben schon steht - als «Pornokategorien» geschildert, spielen eine passive Rolle und werden diesen Fetischen und Fantasien unterworfen.

Im Gegensatz dazu soll «Diversity» bei ethischen Pornos als normaler Teil der Sexualität dargestellt werden und nicht bloss zur Befriedigung eines Fetischs missbraucht werden.

Das heisst aber nicht, dass keine Vorlieben oder Fetische thematisiert werden: «Ethisch und kinky zu sein schliesst sich nicht aus», erklärt Nora. Du magst es, die submissive Rolle zu spielen? Go for it, solange es mit dem/der Partner/in besprochen wird.

Porno als Aufklärungsunterricht?

Dass Jugendliche Pornos gucken, ist kein Geheimnis. Und weil Sex immer noch ein so grosses Tabuthema ist, über das man kaum redet, gibt es viele unerfahrene Junge, die das Gefühl haben, dass Sex im echten Leben wie Sex in einem Porno ist.

Dementsprechend könnten ethische Pornos auch eine aufklärerische Rolle übernehmen.

Unser Ziel ist es, Sex und Sexualitäten zu entmystifizieren, damit man sich endlich wagt, darüber zu reden, ohne sich zu schämen.

Die Frauen hinter «Oil Productions» streben an, das Medium «Porno» zu nutzen, um ihre Werte zu vermitteln, Diskussionen anzuregen sowie das Thema Sex zu enttabuisieren. Sie schreiben sich in der Sex-Positive-Bewegung ein und möchten ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es wichtig ist, dass man über seine sexuellen Bedürfnisse spricht und sich auch getraut «Nein» zu sagen.

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