Laura, Anna und Fabian haben etwas gemeinsam: Sie setzen sich kritisch mit Fussball auseinander. Doch ihre Standpunkte unterscheiden sich – auch wegen ihrer unterschiedlichen Zugänge zum runden Leder.
Laura ist Fotografin und Frauenfussball-Expertin. Anna ist LGBTQ+-Aktivistin und äusserte während der Europameisterschaften (EM) auf Instagram ihre Bedenken zur häuslichen Gewalt in England. Fabian ist Fanarbeiter beim FC Luzern, kennt die Fanszene aus der Nähe und setzt sich dafür ein, kommerziellen Fussball differenzierter zu betrachten.
Der Fussball ist weltweit die beliebteste Sportart und vielleicht deshalb gilt er als milieuübergreifend. Kaum etwas anderes schafft es, Menschen in einem solch breiten Spektrum aus allen Kontinenten und aus allen Bevölkerungsschichten zusammenzubringen.
Dennoch werden diese diskussionslos schönen Eigenschaften des Fussballs wiederkehrend von Skandalen überschattet: Korruption, Ausbeutung, Gewalt, Rassismus oder Homophobie sind einige dieser negativen Aspekte auf der Kehrseite der Medaille.
Wie queerfreundlich ist Fussball?
Als der deutsche Torhüter Manuel Neuer mit der Kapitänsbinde in Regenbogenfarben in den ersten EM-Begegnungen seiner Nationalelf auf dem Rasen aufläuft, erachten viele Fans dies als schöne Geste der Anerkennung für die LGBTQ+-Community.
Später in München soll gegen Ungarn das Stadion in den Regenbogenfarben erleuchten. Doch der Europäische Fussballverband (Uefa) macht einen Rückzieher und erlaubt das Vorhaben nicht. Der Turnierveranstalter verstrickt sich bei der Argumentation in Widersprüche.
Im August 2019 zeigt sich die Uefa noch inkludierend und schrieb, die EM werde ein Turnier für alle sein.
Nach dem die Uefa im Sommer zurückgekrebst ist, nutzten manche Sponsor:innen der Europameisterschaft die Gunst der Stunde, sprangen in die Bresche und schalteten Bandenwerbungen in Regenbogenfarben. Doch für die queere Community bleibt ein schräges Gefühl.
Viele Fans und Menschen aus der LGBTQ+-Community fragen sich, ob sich diese Sponsor:innen beispielsweise auch an der Weltmeisterschaft in Katar solidarisch mit queeren Menschen zeigen würden. Im Emirat ist Homosexualität verboten und kann mit Gefängnis bestraft werden.
Apropos Katar: WM mit fadem Beigeschmack
Laut einer Recherche der britischen Tageszeitung «The Guardian» sind bisher mehr als 6500 vorwiegend männliche Gastarbeiter in Katar während den Stadionbauarbeiten gestorben. Nach der Publikation, folgen die ersten Boykottaufrufe und Proteste gegen die Weltmeisterschaften – auch von nationalen Fussballverbänden.
Zur Thematik äussert sich auch der Präsident des Schweizerischen Fussballverbands. Dominique Blanc sagt: «Wir zählen auf Dialog und nicht auf Boykott.» Diese Haltung nimmt später auch Amnesty International ein, obwohl es die Menschenrechtorganisation selbst seit Jahren auf die Missstände in Katar hinweist.
So sagt Regina Spöttl als deutsche Katar-Expertin für Amnesty Deutschland: «Das Land hat sich durchaus gesprächsbereit gezeigt und Reformen angestossen. Es gibt Fortschritte und mit einem Boykott würden diese um Jahre zurückgeworfen werden.»
Es ist aber nicht nur Katar, das als Austragungsort bis dato im Abseits steht. Auch andere Fussball-Grossanlässe wurden harsch kritisiert: Beispielsweise die EM 2020 für ihren saloppen Umgang mit den Corona-Massnahmen inmitten einer globalen Pandemie und die WM 2014 in Brasilien wegen Zwangsumsiedlungen, um Bauten fürs Turnier zu realisieren.
Was dominiert im Fussball: Rassismus oder Integration?
An der EM 2020 zeigen sich einige Fans von einer scheusslichen Seite: Der Fanblock aus Ungarn äussert sich mit rassistischen und homophoben Parolen.
Später werden die englischen Elfmeterfehlschützen Bukayo Saka, Jadon Sancho und Marcus Rashford nach ihrer Finalniederlage auf Social Media rassistisch beleidigt.
Finanzielles Gefälle zwischen Frauen und Männer
Wer eine Fussballweltmeisterschaft gewinnt, erhält eine Siegesprämie. Nur macht der Gender-Pay-Gap auch vor WM-Sieger:innen keinen Halt. So erhält das Männerteam vom Weltfussballverband (Fifa) rund 38 Millionen US-Dollar, während Frauen mit etwa 4 Millionen prämiert werden – das sind rund zehn Mal weniger. Auch bei nationalen Verbänden sind die Unterschiede deutlich: So beträgt die Prämie für Frauen des Deutschen Nationalteams rund 80 Prozent weniger als das Preisgeld für die Männer. Als Vergleich: Der Gender-Pay-Gap ausserhalb der Fussballwelt beträgt in der Schweiz etwa 18 Prozent.
Prekär ist in der Schweiz die Situation auch in nationalen Ligen. Während männlich gelesene Fussballer hierzulande bis und mit teilweise in die dritthöchste Nationalliga vom Profisport leben können, reichen die Löhne der höchsten Fussballligen der Frauen dafür nicht und die Profifussballerinnen müssen einer Nebentätigkeit nachgehen.
Zu den gängigsten Argumenten für die Differenz gehören etwa die Einschaltquoten und die damit zusammenhängenden Werbeeinnahmen. Je mehr Leute ein Turnier verfolgen, desto mehr Geld wird von Sponsor:innen für die Sichtbarkeit ihrer Brands aufgewendet.
Frauen haben auch neben dem Fussballplatz das Nachsehen
Während der EM 2020 machte in den sozialen Medien eine Studie aus England von sich reden. Sie zeigt auf, dass die gemeldeten Übergriffe gegen Frauen während Fussballspielen signifikant zunehmen.
Der Artikel des Wissenschaftsportals «The Conversation» machte 2018 anlässlich der Fussball-WM auf ähnliche Fälle aufmerksam: Nach WM-Spielen der Turniere von 2002 bis 2010 stieg die häusliche Gewalt um 26 Prozent an, wenn England ein Spiel gewann. Bei einer Niederlage war es 38 Prozent mehr gemeldete Fälle als üblich.
Doch Fussball trägt nicht die alleinige Verantwortung für die Zunahme von häuslicher Gewalt. Die besagte und auch weitere Studien verweisen stets auf eine Kombination mit Alkoholkonsum, der jedoch während Fussballturnieren und -Spielen ebenfalls erhöht ist.
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