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Club «Helikopter-Eltern rauben ihren Kindern die Kindheit!»

Mit «Helikopter-Eltern» sind Eltern gemeint, die sich permanent in der Nähe ihres Kindes aufhalten, es in seinen Aktivitäten und seiner Freundeswahl überwachen und jeden Schaden von ihm fernzuhalten versuchen. Josef Kraus, Präsident des deutschen Lehrerverbandes und Buchautor, warnt vor den Folgen.

Warum neigen viele sogenannte «Helikopter-Eltern» dazu, ihre Kinder über Mass zu behüten und zwanghaft alles ums sie herum zu steuern?

Hier kommen je nach «Fall» verschiedene Gründe zusammen. Man hat womöglich nur ein einziges Kind, und dieses Kind soll ein Premiumkind werden, das man quasi narzisstisch herzeigen kann. Man hat sich von irgendwelchen

Gurus unseriöser Pädagogik und Hirnforschung einreden lassen, dass man für die Förderung kein neuronales Zeitfenster auslassen dürfe. Man hat sich weismachen lassen, dass der Nachwuchs in Zukunft nur dann eine Chance hat, wenn man Matura, Bachelor, Studium und Promotion hat. Man hat vielleicht zu viel schlaue «Ratgeber» gelesen. Man sitzt irgendwelchen Alarmmeldungen auf, dass Kinder heutzutage immer größeren Gefährdungen ausgesetzt seien.

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Josef Kraus
Legende: Keystone

Josef Kraus ist seit 1987 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL). Er ist Autor mehrerer Bücher, aktuell: «Helikopter-Eltern. Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung» (Rowohlt Verlag).

Früh-Chinesisch, Baby-Schwimmen, Förderung der Kinder bis ins Erwachsenenalter, damit sie später im Haifischbecken der Globalisierung bestehen können: Was ist daran falsch?

Abgrundtief falsch daran ist die totale Verplanung der Kinder. Hier geht es offenbar nicht um eine freie Entfaltung der Persönlichkeit und deren kreative Potentiale, sondern um Programmierung, ja Abrichtung. Man raubt damit Kindern die Kindheit. Dabei brauchen gerade Kinder unverplante, unstrukturierte Zeit – zum Spielen, für Muße und Muse.

Welche Folgen hat das für die Kinder?

Wenn Kinder nur noch programmiert werden, dann folgt bereits im frühen Alter ein Burnout. Ganz zu schweigen davon, dass am Ende solcher Entwicklungen keine gereiften Persönlichkeiten herauskommen, sondern Funktionsfuzzis. Wenn Kinder außerdem ständig kontrolliert, verwöhnt und betütelt werden, haben wir am Ende junge Menschen, die keine Eigenverantwortung und Selbständigkeit entfalten konnten. Das sind dann eines Tages keine Erwachsenen, sondern bestenfalls ewig Postadoleszente.

Jede Mutter und jeder Vater möchte nur das Beste und eine gesicherte Zukunft für das Kind: Woran erkennt man als Eltern das «richtige» Mass an Behütung, Begleitung und Förderung? Geben vielleicht sogar die Kinder Zeichen?

Das Beste bzw. das gut Gemeinte ist oft das Gegenteil des Guten. Kinder wissen das durchaus eine Zeitlang zu schätzen, weil es bequem ist, wenn einem alle Wünsche von den Augen abgelesen und alle möglichen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Allerdings gibt es auch diejenigen Kinder, die eines Tages aus dem goldenen Überbehütungskäfig ausbrechen. Massstab sollte sein, erstens in der Erziehung einen Mittelweg zwischen Führen und Wachsenlassen zu finden und zweitens dem Kind nichts abzunehmen, was es selbst erledigen kann, und drittens die Haltung, dass der Mensch nicht mit der Matura beginnt.

Welches ist heute der grösste Erziehungsmythos?

Ein Mythos ist es anzunehmen, dass klare Regeln, dass altersgerechte Aufgaben, dass ein gelegentliches Nein, dass also ein Aufzeigen von Grenzen bereits traumatisierend wirkt. Das ist Quatsch. Denn Persönlichkeit reift gerade dann, wenn Kinder in Anspruch genommen werden. Wie sollen sie sonst Selbstbewusstsein und Stolz auf sich selbst entwickeln können?

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