In der Schweiz entbrannte gerade ein Streit, ob man zwei muslimischen Schülern im Teenageralter dazu zwingen sollte, der Lehrerin die Hand zum Gruss zu reichen. Trotz Androhung von Sanktionen bestehen die beiden jungen Männer und deren Familie nach wie vor darauf, den Handschlag zu verweigern. Ihre Meinung dazu?
Es gibt keine allgemeine rechtliche Pflicht, jemandem die Hand zu geben. Insofern ist das kein rechtliches Problem, sondern eine Frage des Umgangs, der Achtung und des Respekts. In Deutschland geben zum Beispiel orthodoxe Rabbiner-Frauen die Hand nicht. Es gab auch einen Fall, wo ein deutscher SPD-Abgeordneter einer AfD-Abgeordneten den Handschlag verweigerte. Bei Muslimen regen wir uns in solchen Fällen offenbar schneller auf. Wenn der junge Mann «gelernt» hat, den Handschlag zu verweigern, stellt sich die Frage, ob dieses Verhalten durch pädagogische Maßnahmen «verlernt» und stattdessen neue Verhaltensweisen gelernt werden. Die Lehrer haben eine schwierige Aufgabe, aber sie müssen sich den Respekt vor allen Schülern (auch christlichen Schweizer Schülern) täglich erarbeiten. Ich glaube, dass eine moderne emanzipatorische und integrative Erziehung möglich ist.
In Deutschland wird gerade darüber diskutiert, ob man Schweinefleisch generell aus Schul- und anderen Kantinen verbannen soll aus Rücksicht auf die Muslime. Was meinen Sie hierzu?
Ich verstehe nicht, weshalb die Kanzlerin diese Debatte angestoßen hat. In Deutschland gibt es schließlich viele Essgewohnheiten und jeder kann essen, was er will. In manchen Schulen oder Kindergärten verzichtet man offenbar komplett auf Fleisch, in manchen Kantinen wird auch im Interesse von Vegetariern immer ein vegetarisches Gericht angeboten. Schließlich gibt es nicht nur Rücksicht auf Muslime, sondern auch Rücksicht auf Hindu, Juden und Vegetarier. Jeder hat die Möglichkeit, Schweinefleisch zu essen oder darauf zu verzichten, wenn er aus religiösen Gründen (helal, kosher) oder aus Überzeugung (Vegetarier) darauf verzichten will. Niemand zwingt jemanden bestimmte Essgewohnheiten auf. Dafür ist das Angebot auch einfach zu groß.
Muslime können in ihrer Religion bis zu vier Ehefrauen haben. Was tun, wenn z.B. ein muslimischer Kriegsflüchtling mit seinen zwei Ehefrauen und Kindern bei uns Schutz erhält? Seine Mehr-Ehe anerkennen? Gibt es überhaupt eine Lösung, die beiden Kulturkreisen gerecht wird?
Bigamie ist in Deutschland verboten. Bigamie ist auch in einigen muslimischen Ländern (z.B. Türkei) rechtlich verboten. Männer mit bis zu vier Frauen dürfen nur die rechtliche Ehefrau nach Deutschland bringen. Für die anderen Frauen kann er zwar einen Antrag stellen, dieser wird vermutlich aber abgelehnt.
Was tun, wenn sich ein Muslim zwar integrieren möchte, aber nicht bereit ist, gewisse grundlegende Regeln, die er für notwendig hält in seiner Religion, aufzugeben?
Integration und Religion müssen sich nicht gegenseitig ausschließen, denn es gibt viele sehr gut integrierte und teilweise assimilierte Muslime. Der Islam ist eigentlich eine sehr pragmatische Religion. Viele radikale Muslime interpretieren die Regeln sehr streng. Für diese Muslime ist Integration ungleich schwerer. Ich würde mir wünschen, dass auch die streng gläubigen Muslime einen Weg finden, ihre Religionsausübung mit den hiesigen Regeln (auch den ungeschriebenen Gesetzen) in Einklang zu bringen. Das würde ihr Leben sehr erleichtern und auch mehr Akzeptanz erzeugen.