Viertel vor vier Uhr am Morgen des 9. Oktober 2009. Der Anruf reisst mich aus dem Schlaf. «Ja, Hallo?» – «Guten morgen, Tagesschau hier. Sorry für die frühe Störung, aber Obama wird den Friedensnobelpreis erhalten.» – «Im Ernst? Wofür denn?»
Das war mein erster Gedanke. Und wahrscheinlich fragte sich im ersten Moment auch Barack Obama, seit weniger als neuen Monaten Präsident der USA, was wohl hinter dieser Ehre aus Oslo stecken könnte. Er nehme den Preis nicht für sich und seine Leistungen an, sagte er wenige Stunden später im Garten des Weissen Hauses, sondern als Würdigung der amerikanischen Führungsrolle in der Welt und als Ansporn bei der Umsetzung seiner ambitiösen Ziele.
Obama spricht wie ein Präsident, nicht wie ein Friedensnobelpreisträger
Amerikanische Führungsrolle. Ambitiöse Ziele. Vielleicht hat der eine oder andere im Nobel-Komitee damals schon gedacht: Der spricht nicht wie ein Friedensnobelpreisträger – der spricht wie ein amerikanischer Präsident. Spätestens zwei Monate später blieb dem Publikum in Oslo der Mund offen stehen, als Obama in seiner Dankesrede Dinge sagte wie: «Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie Amerikaner bedroht werden – denn eins ist klar: Das Böse existiert auf der Welt. Gewaltverzicht hat weder Hitlers Armee besiegt noch die Führer der Kaida dazu gebracht, ihre Waffen niederzulegen.» Und weiter: «Tatsache ist: Die Vereinigen Staaten von Amerika haben die globale Sicherheit über mehr als sechs Jahrzehnte garantiert, mit dem Blut unser Bürger und der Kraft unserer Waffen.»
Drohnen statt Invasionen
Seit bald sechs Jahren regiert Obama die USA. Sechs Jahre, in denen er mit einer Welt konfrontiert war, die anders aussah als viele – er inklusive – sich das ausgemalt hatten: Arabischer Frühling. Bürgerkriege in Libyen, Syrien und der Ukraine. Und immer wieder Terror. Terror in Boston, Terroristen vor den Toren Bagdads. Neue Terrorgruppen vom immer gleichen Hass auf die USA erfüllt, von Pakistan über den Jemen bis Somalia. Obama, der als derjenige Präsident in die Geschichte eingehen wollte, der den Krieg gegen den Terror beendet, musste diesen Krieg stattdessen in einem Zug herunterfahren und neu starten.
Dieser Neustart fiel zusammen mit einem nie dagewesenen technologischen Fortschritt. Während Privatpersonen rund um die Welt lernten, mit dem iPhone ihr Leben fern zu steuern, merkte man im Weissen Haus: Auch Krieg ist plötzlich per Fernbedienung möglich. Drohnen statt Invasionen. Die Möglichkeit, Feinde auszulöschen ohne das Leben eigener Soldaten zu riskieren. Und Obama nutzte diese Chance: Über 500 unbemannte Luftschläge wurden bis heute durchgeführt, schätzt das «Bureau of Investigative Journalism» in London. Zwischen 2'000 und 5'000 Menschen verloren dabei ihr Leben. Die meisten davon feindliche Kämpfer, doch auch hunderte Zivilisten wurden Opfer dieser Killer-Missionen in Pakistan, Jemen und Somalia. Wie viele genau, das weiss niemand. Zwar bringt Krieg seit je Tod und Zerstörung, doch der Krieg per Fernbedienung wirft ganz neue moralische Fragen auf.
Töten bleibt töten, auch wenn es am anderen Ende der Welt passiert
Lange hat Obama geschwiegen, darauf verwiesen dass die Drohnenschläge «top secret» seien. In den letzten Jahren aber – als die Zahl der Missionen zurückging hat sich der Präsident auch öffentlich zur ferngesteuerten Kriegsführung geäussert. Die Regeln seien klar, betonte er: Es muss eine unmittelbare Bedrohung bestehen, eine Gefangennahme unmöglich sein. Das Problem ist nun, dass im Einzelfall nur eine Hand voll Menschen entscheidet, ob diese Kriterien erfüllt sind. Man mache sich diese Entscheidung nicht leicht, heisst es im Weissen Haus. Töten bleibt töten, auch wenn es am anderen Ende der Welt passiert. Doch auch wenn Obama und seine Leute hadern mit den Entscheiden über Leben und Tod, Fakt ist: Sie haben die ferngesteuerten Killerflüge als Mittel im Krieg etabliert. Andere Präsidenten, andere Länder werden folgen. Niemand weiss, wie klar die Regeln dann sind.
Wenn Drohnen nicht genügen
Manchmal sind Drohnen nicht genug. Im Fall von Terrorfürst Osama bin Laden zum Beispiel, wo die Informationen in seinem Versteck mindestens ebenso wichtig waren wie der Mann selbst. Dort schickte Obama ein Team von Elite-Soldaten. Drohnen konnten auch nichts mehr ausrichten, nachdem die Mörderbande mit dem selbst verliehenen Namen «Islamischer Staat» erst Syrien, dann den Irak überrannte. Hier setzt Oberbefehlshaber Obama seine Luftwaffe ein, sowie militärische Trainings-Einheiten am Boden – bis heute.
Der Krieg, in welcher Form auch immer, hat Obamas Präsidentschaft geprägt. Er solle den Nobelpreis für Frieden darum zurückgeben, hört man öfter. Das vermeidet die eigentliche Frage: Hätte man den Preis je an einen kriegführenden US-Präsidenten verleihen sollen? Wahrscheinlich nicht. Eine Auszeichnung als guter Vorsatz, das kann nur schief gehen. Es ist nicht so, dass Obama nichts getan hätte für den Frieden in der Welt: Nuklear-Abkommen mit Russland, direkte Gespräche mit dem Iran, umsichtiges Management der oft konfliktgeladenen Beziehungen zu China. Doch das sind nicht die Dinge, für die er in Erinnerung bleiben wird. Drohnenkrieg und Antiterror-Kampf stehen weiter oben auf der Liste.
Kein Präsident bekommt das Geschenk, in einer Welt zu regieren, wie er sie sich wünscht – er muss seinen Job tun in der Welt, die er vorfindet. Obama bekam im Dezember 2009 in Oslo ein Geschenk, das weder zu ihm passte noch zu dieser Welt.