«Ich kann gehen, ich bin im Frieden.» Die Worte sind klar, die Stimme und der Körper aber schwach. Der Krebs hat die Lebensenergie vertrieben. Heidi Steiner ist 67 Jahre alt und verbringt die letzte Lebensphase im Hospiz St. Gallen. Sie ist unheilbar krank und weiss, dass sie bald sterben wird.
Noch bis vor kurzem ist sie als Clownin aufgetreten und hat, als ehemalige Sportlehrerin, eine Bewegungsgruppe für Seniorinnen und Senioren geleitet.
«Noch vor ein paar Wochen war ich im Spital und hatte das Gefühl, ich könnte einfach die nächste Therapie starten. Aber dann sagt dir der Arzt: Stopp, es bringt nichts mehr», sagt Heidi Steiner mit schwacher Stimme.
Ich bin zufrieden, ich kann gehen. Es ist ein schöner Abschluss irgendwie.
Dies zu akzeptieren war nicht einfach, anfänglich habe sie damit gehadert. Aber jetzt: «Ich bin zufrieden, ich kann gehen. Es ist ein schöner Abschluss irgendwie.» Auch wie ihre Abschiedsfeier sein soll, hat sie bereits geregelt.
Wenn die Behandlung abgeschlossen ist
Das Hospiz steht erwachsenen Menschen unabhängig von Religion, Kultur, ethnischer Zugehörigkeit und sexueller Ausrichtung offen.
Voraussetzung ist, dass sie an einer unheilbaren, fortschreitenden Erkrankung leiden und dass die Heilung dieser Krankheit ausgeschlossen ist. Therapien, wie zum Beispiel eine Chemotherapie, gibt es in einem Hospiz keine mehr. Hier sind die Behandlungen abgeschlossen.
Wir können mit dem, was wir haben, das Beste herausholen und es den Bewohnerinnen und Bewohnern so schön machen, wie es nur geht.
«Bei uns ist der Fall klar: Wir müssen niemanden mehr retten.» Sarah Krüsi Leber arbeitet im Hospiz St. Gallen als Pflegefachfrau Palliativ Care. «Wir können mit dem, was wir haben, das Beste herausholen und es den Bewohnerinnen und Bewohnern so schön machen, wie es nur geht.»
Das Personal steht in einem Hospiz rund um die Uhr zur Verfügung.
Die Frage der Hoffnung
Das Hospiz St. Gallen ist wunderbar in einer alten Villa gelegen, der Villa Jacob. Mit Liebe zum Detail und auf die Pflegebedürfnisse angepasst, wurde das Haus renoviert. Grosszügige und lichtdurchflutete Räume geben einem ein Gefühl von Geborgenheit. Es ist ruhig in den Gängen, trotzdem fühlt man sich nicht allein.
Ab und zu hört man Stimmen und das Klingeln der Telefone der Pflegerinnen und Pfleger. Und das Summen der Beatmungsgeräte. Ein solches Beatmungsgerät braucht auch Nicolas Kressig. Seit über zehn Jahren leidet er an einer schweren Lungenkrankheit.
Ich weiss, dass ich kämpfen will, ich will noch Musik machen, möchte noch mehr erleben.
Jetzt, im Alter von 45 Jahren, lebt er im Hospiz. «Ich weiss nicht, ob das schon das Tal ist. Sie scheint immer wieder etwas Neues in petto zu haben, diese Krankheit.»
Aufstehen aus seinem Bett mag Nicolas kaum mehr. Projekte aber hat er noch viele im Kopf: «Ich weiss, dass ich kämpfen will, ich will noch Musik machen, möchte noch mehr erleben.»
Bis zu seinem Eintritt ins Hospiz hat Nicolas selbstständig in einer Wohnung gelebt, unterstützt durch Freunde. Das möchte er wieder, wenn es denn seine Verfassung zulassen würde und es eine geeignete Wohnform gäbe.
Was wir nicht machen, ist falsche Hoffnungen schüren.
Viele Konjunktive und noch viel mehr Hoffnung. Hoffnung, welche aber auch ihren Platz in einem Hospiz haben darf. «Was wir nicht machen, sind falsche Hoffnungen schüren», sagt Sarah Krüsi Leber. Dass jemand aus einem Hospiz wieder austreten könne, das sei äusserst selten.
Wenn Rituale Worte ersetzen
Auch Rebecca Menz arbeitet als Pflegefachfrau Palliativ Care im Hospiz St. Gallen. Eine Arbeit, bei der man täglich mit dem Tod konfrontiert ist.
Wir sind Menschen mit Herz. Und manchmal berührt es einen schwer.
Doch eine Routine im Umgang mit dem Sterben, das gibt es für sie nicht. «Auch wir sind Menschen mit Herz. Und manchmal berührt es einen zum Teil schwer. Das darf es auch.» Doch in einem Hospiz darf auch gelacht werden und es darf sehr wohl fröhliche Momente geben.
«Bei uns im Hospiz wird gelebt», sagt Sarah Krüsi Leber. «Aber uns ist auch wichtig, dass der Tod sichtbar ist.» Hier helfen Rituale, wie beispielsweise das Federritual.
So bekommen jede Bewohnerin und jeder Bewohner beim Eintritt ins Hospiz eine Feder. Diese wird für die Dauer des Aufenthalts an einen Ast gehängt. Nach dem Ableben der Person wird die Feder an die Zimmertür gehängt, als Zeichen dafür, dass in diesem Zimmer eine verstorbene Person aufgebahrt ist.
Wenn dann eine Leiche durch den Bestatter abgeholt wird, geschieht dies hier bewusst nicht durch den Hinterausgang.
Im Hospiz treffen sich dann jeweils alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Ausgang und erweisen der verstorbenen Person beim Verlassen des Hospizes die letzte Ehre. «Das ist auch ein Unterschied zu einem Spital, wo Verstorbene in den Kühlraum gebracht werden», führt Rebecca Menz aus. «Durch dieses Ritual bekommt es einfach noch mehr Raum.»
Die Hospiz-Medizin hat einen völlig anderen Fokus.
Raoul Pinter ist der ärztliche Leiter im Hospiz St. Gallen. Zweimal in der Woche gibt es im Hospiz Arztvisite. «Von der ärztlichen Kunst her hat die Hospiz-Medizin einen völlig anderen Fokus», erklärt er. «Wir müssen auch gut zuhören können.»
Es macht mehr Sinn, sich auch mal hinzusetzen und ein paar Minuten einfach zuzuhören, anstatt medizinische Sachen zu machen.
Denn Menschen wollen erzählen. Was war gut, worauf sind sie stolz, wo waren sie besonders lebendig. Aber auch, was hat wehgetan und was war schwierig.
«Es ergibt mehr Sinn, sich auch mal hinzusetzen und ein paar Minuten einfach zuzuhören, anstatt medizinische Sachen zu machen.»
Haben wir den Umgang mit dem Sterben verloren?
Von Berufs wegen befasst sich Sarah Krüsi Leber intensiv mit dem Tod und dem Sterben. Auch mit der eigenen Endlichkeit.
Ich glaube, das Leben wird wertvoller, wenn ich mir meiner eigenen Endlichkeit bewusst bin.
Sie beobachtet aber, dass ihr Umfeld ganz unterschiedlich damit umgeht. «Die einen befassen sich damit, andere geht das nichts an. Und das finde ich schade», meint sie.
Aber nur, weil man sich mit dem Sterben befasst, stirbt man nicht schneller, «aber ich glaube, das Leben wird wertvoller, wenn ich mir meiner eigenen Endlichkeit bewusst bin.» Damit man auch jederzeit sagen kann: Ich bin im Frieden.