«Etwas Besseres ist uns leider nicht eingefallen», meint Andreas Imstepf, Präsident der 300-Seelen Berggemeinde Zeneggen, oberhalb von Visp, lachend. Dabei tönt seine Idee eigentlich recht attraktiv. Familien mit Kindern im Oberstufenalter, die sich in Zeneggen niederlassen, erhalten zwei Jahre lang die Postleitzahl des Ortes als Barbetrag; will heissen: 3934 Franken pro Jahr.
Das Dorf braucht Schulkinder
Der Hintergrund: ab nächstem Jahr hat es in der vierten bis sechsten Klasse von Zeneggen nur noch vier Kinder. Es sollten aber mindestens sieben sein. Schafft das Dorf dies nicht, wird der Kanton die Oberstufe ab Schuljahr 2022 schliessen. Und Zeneggen befürchtet, dies könnte das Ende der Schule überhaupt einläuten.
Die Zenegger geben sich jedoch hoffnungsvoll. Insbesondere die Lonza in Visp, aber auch andere Walliser Firmen, suchen derzeit Schweiz- und weltweit nach Fachkräften. Die Lonza tätigt im Bereich Biotechnologie Milliarden Investitionen. Die Fabrikation des Covid-Impfstoffes Moderna ist ein grosser Deal, der aber viel Personal erfordert.
Hoffnung auf Ruhesuchende
Allein dieses Jahr werden bei der Lonza über 1500 neue Frauen und Männer angestellt. Viele wohnen im Rhonetal, andere reisen täglich von Bern oder aus dem Unterwallis an. Aber es gibt immer wieder solche, die bewusst Ruhe, Atmosphäre und Natur eines Bergdorfes wählen. Und genau darauf hofft man in Zeneggen.
Damit Dörfer wie Zeneggen zum Handkuss, sprich zu neuen Einwohnerinnen und Einwohnern kommen, braucht es laut lokalen Promotoren vor allem drei Faktoren: attraktive Mietwohnungen, guten Anschluss an den öffentlichen Verkehr und die Möglichkeit der Kinderbetreuung.
Das hat man auch in Zeneggen festgestellt. In einer geplanten Neubausiedlung will die Gemeinde für die ausserschulische Kinderbetreuung eine 5.5-Zimmer-Wohnung kaufen. Kostenpunkt: rund 800′000 Franken. Ein Kauf, der an der Gemeindeversammlung für viel Diskussion sorgt. Das bestehende Pfarrhaus würde für diesen Zweck auch reichen – meinen kritisch gestimmte Bürger.
Integration erwünscht
Die Hoffnung sei, dass die hoch qualifizierten Spezialisten nicht nur für ein paar Jahre ins Wallis kommen, sondern hier bleiben, sagt Gionvanni Gallo, Personal-Chef der Lonza. «Für uns muss das etwas Langfristiges sein. Die Mitarbeiter, die jetzt von überall herkommen, sollen sich hier wohlfühlen, sich integrieren und ihre private und berufliche Zukunft in der Lonza sehen», meint Gallo, dessen Eltern einst selber aus Sizilien gekommen waren und in der Lonza arbeiteten.
Um die Integration zu erleichtern, sollen die Neuankömmlinge auch Deutsch-Kurse besuchen. Die einen oder anderen entscheiden sich sogar für Walliserdeutsch-Kurse. Laut Sprachlehrerin Felizitas Berchtold soll aber in ihren Kursen auch der Spass eine zentrale Rolle spielen. Ihr geht es vor allem darum, dass die Neuankömmlinge den Dialekt besser verstehen. Verkrampft versuchen, Walliserdeutsch zu sprechen, bringe nicht viel. «Ich finde, wenn sie sich an der Kasse verabschieden oder jemanden zu einem Drink einladen können, dann ist das doch schon einiges.»
Von Singapur nach Visp
Neu im Wallis ist auch die indische Familie Mhamane. Murlidhar Mhamane ist ein Produktionsspezialist im Biopharma-Bereich. Er kam anfangs August mit seiner Frau Pallavi und den zwei Kindern (5 und 9) in die Schweiz. Davor haben sie acht Jahre in Singapur gelebt, wo Murlidhar für die regionale Lonza-Abteilung arbeitete.
Der Abschied von Singapur sei ihr schwergefallen, sagt Pallavi Mhamane. Sie vermisst hier ihre Freunde. Aber Sorgen machen sie sich auch wegen des Klimas. Schnee und Kälte kennen sie nicht – weder von daheim in der indischen Mumbai Region, wo sie aufgewachsen sind, noch von Singapur. Ihr Mann Murlidhar ist aber überzeugt, dass die Zukunftsperspektiven für ihre Kinder in der Schweiz besser sind. Eines Tages würde ihnen ganz Europa offenstehen.
Ein Prozess, der Jahre dauern wird
«Es wird sich im Wallis vieles verändern, wenn wir anschauen, wie viele Menschen jetzt in die Region kommen und wie die Infrastruktur wachst und gedeiht», sagt Marc Franzen, Projektleiter des Regional- und Wirtschaftszentrums Oberwallis. So sei die Anzahl Plätze für die ausserschulische Kinderbetreuung in den letzten Jahren um zirka dreissig Prozent gestiegen. Man stehe diesbezüglich im Schweizer Vergleich sehr gut da.
Es gibt Einheimische, die sich fragen, ob diese Zuwanderung für das Wallis wirklich gut ist. «Diesen Leuten müssen wir klarmachen, dass nicht Verbrecher oder Kriminelle in unsere Region kommen, und auch keine Naturverschandler. Diese Menschen wollen hier leben und auch ihren Beitrag leisten», meint Franzen dazu. So habe zum Beispiel eine Zuzügerin, die vor einiger Zeit in ein Dorf gezogen sei, inzwischen einen Verein gegründet mit dem Ziel, die Nachhaltigkeit im Dorf zu fördern.
Nicht wenige würden sich auch gerne politisch engagieren. Aber das seien Prozesse, die länger dauern, meint Franzen. «Wir wachsen extrem schnell von der Infrastruktur her. Aber der Wandel im Kopf, der kommt nachgelagert. Das ist ein Prozess, der Jahre dauern wird».