1. Der Fall Flükiger
Rudolf Flükiger, 21-jähriger Bauernsohn aus Jegenstorf BE, startet im Herbst 1977 zu einem nächtlichen Orientierungslauf – und kehrt nicht zurück. Wochen später wird die Leiche des Offiziersaspiranten gefunden. Selbstmord, so die offizielle Todesursache.
Daran will die Familie von Flükiger nicht glauben. «Er war stets aufgestellt und voller Tatendrang», sagt seine Schwester in «DOK».
Mit ihren Zweifeln fühlt sich die Familie zunächst allein und von Behörden eingeschüchtert, doch im Laufe der Jahre wird die offizielle Todesursache infrage gestellt: von Politikern, ehemaligen Militärs, Medizinern.
Ein Tod in einer aufgeheizten Zeit
Der Tod des Berner Offiziersaspiranten fällt in eine politische aufgeheizte Zeit: Im Jura kämpfen Separatisten seit Jahrzehnten für die Gründung eines eigenen Kantons, die gesamtschweizerische Volksabstimmung steht bevor. Und der Herbst 1977 geht als «Deutscher Herbst» in die Geschichte ein: Linksterroristen der «Roten Armee Fraktion» RAF verüben tödliche Attentate.
Das damalige politische Umfeld sowie weitere Todesfälle im Jura in jener Zeit bilden den Boden für verschiedene Theorien, die bis heute nie restlos geklärt wurden.
Schriftsteller und Filmemacher beschäftigen sich mit dem Fall
Den jüngsten Versuch einer Lösung hat der Filmemacher Werner Schweizer unternommen, dessen Dokumentation «Operation Silence – die Affäre Flükiger» im Januar 2024 in Solothurn Premiere feierte.
Schweizer sagt, für ihn sei nun klar, dass Flükiger keinen Selbstmord begangen habe. Dann fragt sich: Wer hat ihn getötet? Und weshalb die Darstellung als Suizid?
Der Fall beschäftigt auch den Schriftsteller Daniel de Roulet, der sich im Roman «Staatsräson» mit den Ereignissen auseinandergesetzt hat. Er ist überzeugt: Entscheidend gewesen sei die bevorstehende Abstimmung über den Kanton Jura. «Ich sage nicht, der Staat hat gewusst, wer es ist [der Flükiger getötet haben könnte / Anm. d. Red.]. Sie haben einfach gesagt: Das wollen wir gar nicht wissen, weil dort stinkt etwas.»
2. Der Fall Breguet
Mitte der 1990er-Jahre liegt auf dem Pult der damaligen Schweizer Bundesanwältin Carla del Ponte das Dossier eines Falls, der das Zeug zum Hollywood-Film hat.
Der Tessiner Terrorist Bruno Breguet verschwindet 1995 spurlos von einer Fähre zwischen Italien und Griechenland. Del Ponte hatte gegen Breguet Untersuchungen eingeleitet, nach seinem Verschwinden macht sie Abklärungen dazu.
Bruno Breguet hatte sich Ende der 1960er-Jahre im Zug des Nahost-Konflikts radikalisiert und wollte für die palästinensische Terrororganisation PFLP in Israel einen Bombenanschlag verüben. Breguets Schulfreund aus Minusio TI, Gianni Quattrini, unterhielt mit ihm lange Briefkontakt.
Obwohl sich sein Freund zum Terroristen wandelte, fühlt sich Quattrini bis heute mit ihm verbunden. «Bruno hatte eine grosse Sensibilität gegenüber Menschen, die leiden, die nicht frei sind. Ganz genau hat er mir nie erzählt, was er in Israel machen wollte.»
In München drückt Breguet den Auslöser einer Bombe
Wie der Historiker Adrian Hänni in seinem Buch nachzeichnet («Terrorist und CIA-Agent»), bleibt es nicht bei Attentatsversuchen: Nach einer mehrjährigen Haftstrafe in Israel schliesst sich der Schweizer der berüchtigten Gruppe des bekannten Terroristen «Carlos» an.
1981 in München, beim Bombenanschlag auf die Büros der amerikanischen Radiosender Radio Free Europe und Radio Liberty, ist es Breguet, der den Auslöser drückt. Der Sicherheitschef der Sender, Richard H. Cummings erinnert sich in «DOK»: «Alles hier war zerstört. Zwei Meter innerhalb des Gebäudes sah man die Schäden. Vier tschechische Angestellte wurden verletzt.»
1991 nimmt Breguets Geschichte nochmals eine überraschende Wende: Er wird Agent der CIA. Unter dem Decknamen «FDBONUS1» liefert er der CIA spätestens ab 1991 zahlreiche Informationen zur «Carlos»-Gruppe und auch anderen terroristischen Organisationen.
Ein langjähriger Täter, der zum Opfer wird?
Was auch die Schweizer Bundesanwältin del Ponte damals nach eigenen Aussagen nicht wusste, und bis heute offen ist: Was ist mit Breguet 1995 geschehen?
Für den Historiker Adrian Hänni gibt es drei mögliche Erklärungen des Verschwindens: Er sei untergetaucht, um der Strafverfolgung zu entgehen. Oder die CIA habe ihn abgezogen und in ein Zeugenschutzprogramm gesteckt. Am wahrscheinlichsten sei aber die dritte Option: Ein Rachemord einer der Terrorgruppen, die er verraten habe.
3. Der Fall Grünbaum
Rabbiner Abraham Grünbaum hatte als Kind den Holocaust überlebt, in Israel eine neue Heimat gefunden, sich zeitlebens dem Glauben gewidmet – und mit 70 Jahren wird er an einem Sommerabend im Juni 2001 mitten in Zürich erschossen.
«Er war ein ernster Mann. Man konnte ihn schon zum Lächeln bringen, aber man musste sich etwas anstrengen», erinnert sich Esra Berkovics, bei dem Grünbaum zu Gast war.
Seit bald 30 Jahren war der Rabbiner aus Israel immer wieder nach Zürich gereist, um hier in Synagogen Spenden zu sammeln für seine Talmud-Schule in Israel.
Zuletzt gesehen wurde Grünbaum in der Synagoge an der Freigutstrasse in Zürich. Zum Abendgebet war er mit Berkovics in der Synagoge an der Erikastrasse verabredet.
Den Fussweg von einer Viertelstunde kannte er von früheren Besuchen. Doch er muss einen Umweg eingeschlagen haben. Kurz nach 22 Uhr fallen in der Nähe des Hallwylplatzes die Schüsse, der Täter flüchtet.
Für Grünbaums Gastgeber Berkovics ist es noch heute ein Rätsel, weshalb sein Gast einen anderen Weg genommen hat. Die Untersuchungsbehörden schliessen ein Beziehungsdelikt oder einen Raubmord am Rabbiner aus Israel damals bald aus.
Die Chancen auf Klärungen sinken mit jedem Tag
Es bleibt der Verdacht eines Mordes aus Judenhass. Beweise gibt es keine, auch keinen Tatverdächtigen. Doch das politische Umfeld im Sommer 2001 würde die These stützen: Es ist das zweite Jahr der zweiten Intifada, in Israel verüben palästinensische Terroristen wiederholt Anschläge.
Ein Extremist, der in Europa einen erkennbaren Juden angreift – es wäre ein Muster, das immer wieder zu beobachten ist.
Doch noch heute ist der Fall Grünbaum nicht geklärt. Das Strafverfahren der Zürcher Staatsanwaltschaft ist sistiert. Neuer Ermittlungsansätze fehlen. Die Tötung von 2001 droht zu verjähren. Die Verjährungsfrist liegt bei 30 Jahren, in gut sieben Jahren könnte sich der Täter vor juristischen Konsequenzen sicher fühlen.
Die Aussicht auf eine Aufklärung sinke mit jedem Tag, sagt die Strafrechtsprofessorin der Universität St.Gallen, Nora Markwalder: «Wenn Sie jahrelang ermitteln und Sie haben immer noch keinen Tatverdächtigen, dann wird es sehr, sehr schwierig nach Jahren auch noch jemanden zu finden.»