Soll das ein Aprilscherz sein? Just zum 1. April dieses Jahres wechselte unsere Redaktion «Dokfilm und Reportagen» in die Abteilung Kultur von SRF. Und da werden wir Redaktoren also aufgefordert, etwas zum Themenschwerpunkt Barock, den die Abteilung Kultur über die Sender lassen will, beizutragen. BAROCK? Ja was soll denn das? Bisher waren wir in der Informations-Abteilung auf aktuellere Themen getrimmt. Barock? Steht ein Barock-Jahrhundert-Jubiläum an?
Also, schlafen wir einmal drüber. Aber eben, weil‘s der Herr nur den Seinen im Schlaf gibt, umweht mich erst in der Früh eine Mixtur aus Weihrauch, schmelzendem Kerzenwachs und welkenden Blumen. Aber schon hab ich ihn vor Augen. Den für mich barocksten Ort der Schweiz: Einsiedeln, das Kloster, Pfarreiwallfahrt und Kindheitserinnerungen als Ministrant.
Und da war doch auch noch was mit einer Geschichte meines innerschweizer Lieblingsschriftstellers Thomas Hürlimann? Neun Jahre lebte er im Kloster-Gymnasium. Sah den Mönchen zu, auch wenn die Kirche schon geschlossen war. «Der Vestaribruder» von Hürlimann habe ich vor Jahren gelesen. Eine Prosa über den Mönch, der die Schwarze Madonna einkleidet.
Wie ich Barock-Experte wurde
An der nächsten Redaktionssitzung rapportiere ich den Duft meiner Weihrauch-Kerzenwachs-Blüten-Mixtur. Und weil ich doch als Schulbub schon drei, vier mal ministriert und auch schon die Klosterkirche von innen gesehen hatte, widerfuhr mir die Beförderung zum BAROCK-Experten. Huber, BAROCK-Experte der Redaktion «Dokumentarfilm und Reportagen.»
Wochen später stehe ich mit Kameramann Matthias Gruic in der Kapelle mit der schwarzen Madonna im barocken Kloster Einsiedeln. Bruder Gerold führt uns. Der Abt hat die Bewilligung erteilt, das Kleiderwechseln an der berühmten heiligen Figur erstmals filmen zu dürfen.
Bruder Gerold Zenoni hat den gleichen Beruf erlernt, wie ich: Schriftsetzer. Aber dann sind unsere Gemeinsamkeiten schon bald zu Ende. Trotzdem reizte mich der Umstand, dass ein Mann, dazu ein Mönch, diese Frau einkleidet – und auskleidet. Etwas salopp sagte ich zu Bruder Gerold: «Sie sind also der Mann, der der Madonna an die Wäsche darf.»
Theologische Fettnäpfchen und ein Vertrauensbeweis
«Salopp» wurde zu so etwas wie einem Codewort in unseren Gesprächen. Bruder Gerold wollte natürlich wissen, was ich sonst schon gefilmt und wie ich da und dort Fettnäpfchen umschifft hätte, und ob er denn auch ein paar Arbeitsproben sehen dürfte. So habe ich ihm meine Reportage über die Schweizergardisten und den frisch gewählten, etwas unkonventionellen neuen Papst Franziskus, gezeigt. «Schöne Bilder (dieses Kompliment galt ausschliesslich Kameramann Matthias Gruic) aber ein etwas zu salopper Text», waren die Worte von Bruder Gerold.
Der Mönch wies mich da und dort noch auf ein paar theologische Fettnäpfchen hin, bemängelte fehlenden Eifer (meinte er religiösen?) meinerseits und entliess mich mit dem Verdacht, «dem Teufel vielleicht doch etwas ab dem Karren gefallen zu sein, vielleicht? – etwas salopp gesagt». Und dann sagte er noch so etwas wie: «Einverstanden, machen wir die Übung». Ein wertvoller Moment! Bruder Gerold vertraute mir. Trotzalledem.
Leben und Sterben hinter Klostermauern
Fast 1200 Jahre gibt es das Kloster Einsiedeln. Früher lebten die Mönche vom Ablass. Heute von Spenden. Einsiedeln war Schauplatz von Pilgerströmen und von religiösen Wirren. Fünf mal wurde das Kloster abgefackelt.
Als meine Generation die Beatles hörte (nicht nur den Song «Lady Madonna»), machte sich Gerold Zenoni aus Altdorf auf den Weg ins Kloster. Seither arbeitet Bruder Gerold in der Sakrestei, im Küchendienst und als Krankenpfleger für seine alten Mitbrüder. 60 Mönche leben noch in Einsiedeln. Platz hätte es für viermal so viele.
Dieser «Reporter» wird im Rahmen des Themenschwerpunkts « Barock mon amour » am Sonntag, 26. Oktober um 21.40 Uhr im Schweizer Fernsehen SRF 1 ausgestrahlt.