«Ich würde wirklich gerne draussen im Erker gebären», so der Wunsch von Rebecca Wullschleger. Schon ihr zweites Kind kam daheim auf die Welt. Jetzt soll es wieder eine Hausgeburt sein.
Doch so wie sie entscheiden sich nur knapp ein Prozent der werdenden Mütter. Für Rebecca ist die selbstbestimmte Geburt wichtig, mit möglichst wenig Intervention durch medizinisches Personal – direkt im vertrauten Umfeld. Zudem haben sie und ihr Partner Stefan Weber schlechte Erfahrungen bei der Geburt ihres ersten Sohnes Yeshua im Spital gemacht.
«Ich wurde nach Hause geschickt, war bei der Geburt darum nicht da. Niemand hatte das Baby aufgefangen, also entgegengenommen – es waren einige Vorkommnisse, die nicht so liefen, wie man sich das gewünscht hätte», erzählt der Vater.
Eine ganz wichtige Bezugsperson bei der Hausgeburt ist die Hebamme. Sie muss der Hausgeburt zustimmen, denn wenn etwas nicht planmässig läuft, kann sie rechtlich dafür belangt werden.
Spitalgeburt: medizinische Versorgung garantiert
Die meisten Kinder in der Schweiz kommen jedoch im Spital auf die Welt. Diese Geburtspraktik hat sich im 20. Jahrhundert etabliert. Auch das Paar Larissa und Fabian Künzle haben sich für diesen Geburtsort entschieden. Sie wollen die Ärztin und das Geburtsumfeld vorab kennenlernen, denn bis jetzt war sie bei der Frauenärztin in einem anderen Kanton zur Kontrolle. «Ich bin nervös, weil es eine neue Ärztin ist, es ist ein neuer Ort und nun will ich einen Bezug zu diesem Geburtsort bekommen», erklärt Larissa Künzle kurz vor der ersten Untersuchung im Stadtspital Triemli.
Viele Spitäler haben in den letzten Jahren aufgerüstet, wenn es um das Gebären geht. Neu im Angebot sind ambulante Geburten, Beleghebammen, vertikale Gebärhaltungen z. B. mit einer Kletterstange. Gebärzimmer wurden umgestaltet, Badewannen eingebaut.
Auch Larissa versucht das Gebären in der Badewanne – wechselt aber dann doch wieder auf das Bett. Sie hat starke Schmerzen, ihr Kind hat sich gedreht – schaut nun nach oben. Dies nennt man Sterngucker. Diese Kinder brauchen häufig Hilfe während der Geburt, mit Zange oder Saugglocke. Sie bekommt zusätzliches Oxytocin, ein Wehen-Hormon und auch ein Dammschnitt wird bei ihr gemacht.
Nur sechs von 100 Frauen gebären heute ohne jeglichen medizinischen Eingriff. In den vergangen 20 Jahren haben sich die Geburtseinleitungen verdoppelt und mit einer Kaiserschnittrate von 32 Prozent ist die Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern im oberen Drittel.
Gewalt unter der Geburt
Nicht alle Frauen erleben die Geburt als etwas Schönes, ein Prozess, bei dem sie sich verstanden und unterstützt fühlen. Schätzungen gehen davon aus, dass fast die Hälfte aller Gebärenden Gewalt erleben.
Auch Hebamme Karin Künzle, welche als Hausgeburtshebamme tätig ist, hört von schlechten Erfahrungen im Spital: «Ich habe darum viele Frauen, die sich beim zweiten Kind für eine Hausgeburt entscheiden. Weil sie sich nicht ernst genommen fühlen, viel Gewalt unter der Geburt erlebten. Und diese Frauen wollen dann anders begleitet werden, sie möchten mehr Vertrauen in den Geburtsprozess haben.»
Laut «Roses Revolution Schweiz» manifestiert sich diese Gewalt auf unterschiedliche Art, psychisch wie physisch. Die Fachstelle gegen Gewalt in der Geburtshilfe bietet auch Angebote für Betroffene.
Spital oder Hausgeburt – was ist sicherer?
Doch was ist sicherer für Mutter und Kind? Eine Hausgeburt oder jene im Spital? Eine US-amerikanische Gruppe von Wissenschaftlern ist dieser Frage nachgegangen. Das Ergebnis: Eine Klinikgeburt verringert das Risiko für das Baby, eine Geburt zu Hause schont die Mutter. In dieser Vergleichsstudie waren das Sterberisiko im Zusammenhang mit Hausgeburten dreifach höher.
Dafür hatte sie klare Vorteile für die Frauen. Diese benötigten weniger schmerzlindernde Medikamente, es kam zu weniger chirurgischen Eingriffen wie Dammschnitte und Kaiserschnitte. Sie waren gesünder, erlitten weniger Infektionen und Verletzungen im Genitalbereich und es kam seltener zu Blutungen im Zusammenhang mit der Geburt. Fachleute hierzulande sind jedoch der Meinung, dass das Sterberisiko für die Schweiz nicht übernommen werden kann, da in den USA eine Hausgeburtshebamme nicht die gleiche Ausbildung vorweisen muss.
Eine schweizerische Nationalfondstudie ging der Frage ebenfalls nach und veröffentlichte 1993 die Aussage: Hausgeburt ist gleich sicher wie Spitalgeburt. Zudem zeigte sich, Frauen mit geplanter Hausgeburt sind selbstbewusster, machen sich weniger Sorgen um sich selbst und das Kind und sehen die Geburt als normalen, natürlichen Vorgang. Auch hier zeigte sich, Dammverletzungen und Eingriffe waren niedriger. In beiden Gruppen waren die Kinder gleich gesund.
Was bei einer Hausgeburt jedoch gegeben sein sollte, ist die Nähe zu einem Spital. In der Nationalfondstudie wurde jede vierte Frau bei der Erstgeburt ins Spital verlegt. Bei Folgegeburten nahm dies auf vier Prozent ab.
In den Niederlanden kommen 16 Prozent aller Kinder daheim zur Welt. Zwei von drei Schwangeren mit niedrigem Risiko entscheiden sich für eine Hausgeburt. Eine Kohortenstudie aus dem Jahr 2013 konnte aufzeigen, dass das Komplikationsrisiko sogar niedriger war als bei einer geplanten Geburt in der Klinik. Die Studie war auf Schwangerschaften mit einem niedrigen Risiko beschränkt.
Hausgeburt, oder nicht? Schlussendlich ist es ein persönlicher Entscheid und im Ermessen der begleitenden Hebamme.
Geburtshaus – eine Zwitterform?
Knapp zwei Prozent aller Kinder kommen im Geburtshaus auf die Welt. Ein Aufwärtstrend ist zu sehen.
Das Geburtshaus ist eine sichere Alternative zur Geburt zu Hause oder im Spital, denn Frauen können ihr Kind in einer besonders familienfreundlichen und privaten Umgebung zur Welt bringen. Während der Geburt wird die Frau von der Hebamme 1:1 betreut, gegen Ende des Prozesses kommt eine zweite Hebamme zur Unterstützung dazu. In vielen Geburtshäusern werden auch alternative Therapieformen wie zum Beispiel Akupunktur, Homöopathie usw. angeboten.
Für Komplikationen oder Schwierigkeiten während der Geburt sind Geburtshäuser ausgerüstet und arbeiten eng mit Spitälern in der Umgebung zusammen, damit die Frauen im Notfall schnell verlegt werden können. Geburtshäuser werden jedoch ausschliesslich von Hebammen geführt, es ist kein Arzt anwesend, darum gelten die gleichen Voraussetzungen wie für eine Hausgeburt (siehe oben).
Die Geburt – in Phasen
Für Rebecca Wullschleger geht die Hausgeburt nun los – im Gegensatz zu vielen anderen Frauen hat sie keine starken Wehen. Tritt eine auf, gibt sie diese jedoch in ihre «Wehenmesser-App» ein. Treten die Wehen alle fünf bis zehn Minuten auf, spricht man vom Geburtsbeginn. Jetzt sollte die werdende Mutter die Einrichtung aufsuchen, in der sie das Kind zur Welt bringen will. Rebecca muss nur ihre Hebamme anrufen. Alle Utensilien für die Geburt in ihrem heimischen Erker hat sie vorab bereitgelegt.
Eine normale Geburt dauert zwischen vier und 18 Stunden und verläuft in drei Phasen: Eröffnungsphase, Austrittsphase und Nachgeburtsphase. Natürlich gibt es Ausnahmen, wie z. B. vorzeitiger Blasensprung.
Bei der 32-Jährigen Rebecca geht es nun schnell. Sie geht in die Hocke, hat noch einige Presswehen und kurz darauf hält sie ihre gesunde Tochter in den Händen. Die Hebamme Karin Künzle war unterstützend an ihrer Seite, musste aber nicht eingreifen.
Die verschiedenen Beispiele zeigen eines klar: Es kann nicht abschliessend gesagt werden, dass die eine oder andere Geburtsform die beste ist. Gebären ist und bleibt eine individuelle Entscheidung.