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Hass im Netz Das Internet als Brandbeschleuniger

«Es ist eine Geschichte von Folter und Hinrichtung», sagt der Psychiater Mario Gmür und meint damit den Hass im Netz. Wer damit konfrontiert ist, weiss: Es gibt kaum ein Entrinnen. Griffige Massnahmen dagegen gibt es – noch – nicht. Die drängende Frage: Was macht die Gesellschaft mit all dem Hass?

«Das Netz, das ist ein Schneeballsystem. Es ist brutal, und was das bewirken kann, habe ich erst gemerkt, als ich selbst betroffen war», erzählt Rita Brem.

Die Mitte-Politikerin aus dem Kanton Aargau geriet unverhofft in einen Shitstorm. Ursache dafür war ein Kommentar auf Facebook. Sie wolle kriminelle Ausländer einbürgern, schrieb SVP-Nationalrat Andreas Glarner auf seiner Facebook-Seite und stellte sie damit an den Pranger. Der «kriminelle Ausländer» – ein 17-jähriger Ladendieb, der ein T-Shirt und einen USB-Stick gestohlen hatte. 

Facebookpost, in dem Andreas Glarner schreibt, Rita Brem wolle straffällige Ausländer einbürgern.
Legende: Mit diesem Facebookpost begannt der Shistorm gegen Rita Brem. SRF

Doch der Post trifft einen neuralgischen Punkt. Rita Brem wird darauf im Netz angegriffen, erhält anonyme Anrufe, Briefe und eine Postkarte mit einem Hakenkreuz.

«Das häufigste war, dass ich eine Schlampe sei, eine Missgeburt und man mir die Hände abhacken, mich eliminieren soll.» Der Hass im Netz geht so weit, dass Rita Brem Polizeischutz benötigt: Am helllichten Tag wurde sie von einem Unbekannten mit dem Tod bedroht. 

Meinungsfreiheit oder Hetze? 

«Ich musste sicher nicht damit rechnen, dass Frau Rita Brem bedroht wird», sagt Andreas Glarner. Nicht mehr sagen zu dürfen, was man denke, so Glarner weiter, weil man damit rechnen muss, einen Shitstorm auszulösen, komme für ihn nicht infrage.

«Man kann nicht etwas verbieten, um zu verhindern, dass man dann keine dumme Post bekommt oder was auch immer.»  

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, sagt Michael Hermann vom Forschungsinstitut Sotomo, und warnt gleichzeitig vor den Grenzen: «Wenn mit dem Etikett Meinungsfreiheit Grenzen überschritten werden, dann ist man sich in der Gesellschaft einig: Alles sagen dürfen wir nicht.» 

Anonymität schützt nicht vor rechtlichen Folgen   

Die Anonymität im Netz schützt vermeintlich vor rechtlichen Folgen. Was jedoch vielen nicht bewusst ist: Selbst das Liken oder Weiterleiten von per­sön­lich­keits­ver­letzen­den Kommentaren kann strafbar sein.

«Wenn wir als Gesellschaft sagen, es ist verboten, jemanden im realen Leben zu beschimpfen, gilt dieses Verbot genauso im Internet. Das sind Straftaten. Man darf in unserem Land nicht andere beschimpfen», sagt Strafrechtsprofessorin Monika Simmler von der Universität St. Gallen. 

Was tun?

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Laut Bundesamt für Statistik BFS sind 40 bis 60 Prozent der Menschen in der Schweiz von Hass im Netz betroffen, jüngere mehr wie ältere.

Fachleute empfehlen, Vorfälle direkt bei den sozialen Netzwerken zu melden.

Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es meist lange dauert, bis die (international ansässigen) Betreiber reagieren.

Doch auch die Opferhilfe oder die Pro Juventute bieten fachliche Unterstützung an.

Fachleute empfehlen zudem, ehr- oder persönlichkeitsverletzende Posts oder Tweets mit Screenshots zu sichern, sie dienen als Beweise in einem rechtlichen Verfahren.

Trotz dieser rechtlichen Grundlage bleiben die meisten Hetzer unbehelligt. Betroffene scheuen den Gang zur Polizei oder zu Anwälten, da die Verfahren langwierig, kostspielig und schwer zu gewinnen sind.

Die Beweislage gestaltet sich oft kompliziert, insbesondere wenn Täter anonym agieren oder sich hinter Pseudonymen verstecken. 

Die Folgen sind verheerend 

Auch für Donat Blum ist nicht klar, wer hinter dem Shitstorm steht, der entstanden ist. Blum hat zusammen mit einer anderen Person ein Buch über Männlichkeit herausgegeben. Es heisst «Oh Boy».

Darin reflektiert ein Autor einen sexuell motivierten Übergriff, den er begangen hat. Der Shitstorm folgt prompt. Blum distanziert sich weder vom Autor noch vom Buch und wird daraufhin selbst zum Ziel der Hetze.  

Leute aus seinem persönlichen Umfeld wenden sich ab, Einladungen bleiben aus, Aufträge brechen weg. Die beruflichen und sozialen Konsequenzen sind drastisch.

Während einige Bekannte und Kollegen sich aus Angst um ihren eigenen Ruf von Blum distanzieren, äussern andere offen Ablehnung und boykottieren seine Arbeit.  

Donat Blum spürt diese Intoleranz bis heute. «Das hat mich am meisten getroffen, dass ich von meinen eigenen Leuten verraten wurde.» 

Hass kennt keine politische Richtung 

«Auch die Linke hat ihre blinden Flecken, sie sind einfach nicht so sensibilisiert dafür, weil sie sich mehr im Recht fühlen», sagt Meinungsforscher Hermann.

«Im ersten Moment mag das stimmen, weil sie sich für Schwache und Minderheiten einsetzen, aber das schützt nicht davor, auch selbst intolerant zu sein und problematische Äusserungen zu machen.»  

Experten warnen davor, Hassrede nur einem politischen Spektrum zuzuschreiben. Während rechte Hetze oft offener und direkter ist, zeigt sich linke Intoleranz subtiler – etwa durch Ausschlussmechanismen, den Boykott von Personen oder den öffentlichen Druck, sich von bestimmten Positionen oder Personen zu distanzieren.  

Hass und Hetze im Netz sind heute bereits ein grosse Sorge für die Gesellschaft, wie eine Umfrage von Meinungsforscher Michael Hermann zeigt.

Da griffige Massnahmen dagegen – noch – fehlen, ist eine gesellschaftliche und rechtliche Auseinandersetzung notwendig. Nicht nur, weil die Folgen für die Betroffenen weitreichend sind, sondern weil Hass und Hetze im Netz jeden und jede treffen kann.

DOK, 6.3.2025, 20:05 Uhr, SRF1

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