Sounden bis in die Puppen, die eigenen Toilettenartikel im Badezimmer ausbreiten, Besuch auch noch um Mitternacht – kurzum: Tun und lassen, was man will.
Auf der Schwelle zum Erwachsen werden, träumt manch junger Mensch von der eigenen Bleibe. Unabhängig sein und selber bestimmen können, danach sehnt sich auch die 23-jährige Elodie Alves: «Ich möchte die Wohnung so einrichten, wie es mir gefällt.»
Als Jungfrau in die Ehe
Die grosse Freiheit bleibt der Fachfrau für Gesundheit vorerst verwehrt, ihre Mutter lässt sie nicht ziehen. Aus Angst, die Tochter würde ohne Hilfe nicht zurechtkommen. «Ausserdem denkt meine Mama, es gehöre sich nicht, als junge Frau allein zu leben.»
Elodies Mutter stammt aus Portugal und hält an den kulturell-traditionellen Sitten ihrer ehemaligen Heimat fest. «In unserer Kultur wird zuerst geheiratet und danach zusammengezogen. Zu meiner Zeit war es noch üblich, als Jungfrau in die Ehe zu gehen.»
Ausziehen vor der Ehe ist ein No-Go
Auch in der tamilischen Kultur ist das Wegziehen aus dem Elternhaus vor der Ehe ein No-Go. Evitta Alex wagte den Schritt, gegen den Willen ihrer Eltern, mit 24 Jahren trotzdem. «Die meisten meiner Mitstudentinnen und Mitstudenten lebten in Wohngemeinschaften mit Gleichaltrigen oder allein. Das wollte ich auch.»
Ihre Eltern reagierten mit Unverständnis und haben für zwei Monate den Kontakt zur Tochter aufs wesentliche beschränkt. Dennoch hat die Assistenzärztin Verständnis für Mutter und Vater.
Beide seien in Sri Lanka unter gänzlich anderen Bedingungen aufgewachsen und müssten nun in der Schweiz ihre Kinder in einer komplett neuen Welt erziehen. «Das ist eine grosse Herausforderung.»
Die Sorge um das Kind
Mittlerweile haben sich Evittas Eltern nicht nur mit der Situation abgefunden, sie sind sichtlich stolz darauf, dass ihre Tochter sich emanzipiert hat und eigenständig ihren Weg geht.
Loslassen, aber, fällt ihrem Vater schwer, wie er offenherzig gesteht: «Dass meine Tochter allein wohnt, bereitet mir grosse Sorgen. Deshalb haben wir vereinbart, dass Evitta mir morgens nach dem Aufstehen und abends vor dem Schlafengehen jeweils eine Nachricht schreibt. Somit bin ich beruhigt.»
Zwischen zwei Kulturen
SRF-Reporterin Sofika Yogarasa, die zu diesem Thema recherchiert und Betroffene interviewt hat, kann sich gut in Evittas Situation hineinversetzen. Als Tamilin der zweiten Generation in der Schweiz aufgewachsen, weiss sie nur allzu gut, wie es ist halb-halb, zwischen zwei Kulturen, zu leben.
Ich war nicht bereit dazu und scheute die Konfrontation.
Sie ist mit 26 Jahren von zu Hause ausgezogen, später als die meisten hierzulande. «Ich war nicht bereit dazu und scheute die Konfrontation.» Aus Angst, die Eltern könnten verärgert reagieren, klärte sie diese erst drei Tage vor ihrem Auszug über ihre Absichten auf. Die Furcht war unbegründet, wie sich im Nachhinein herausstellte. Zwar machten die Eltern keine Freudensprünge, aber sie respektieren Sofikas Wunsch nach einem autonomen Leben.
Schweizerinnen und Schweizer ziehen früh aus
In der Schweiz wohnt die Hälfte aller jungen Erwachsenen mit 22 Jahren nicht mehr bei den Eltern. Damit ziehen junge Schweizerinnen und Schweizer deutlich früher von zu Hause aus als beispielsweise die Portugiesinnen und Portugiesen, die erst mit 29.7 Jahren in die eigenen vier Wände ziehen
Oder die Italienerinnen und Italiener, die mit 30 Jahren das elterliche Domizil verlassen. Innerhalb der Europäischen Union bleibt der Nachwuchs in Kroatien am längsten zu Hause, nämlich im Durchschnitt bis zu 33.4 Jahre.
Du wohnst noch daheim?!
Immer wieder muss sich Gesundheitsfachfrau Elodie erklären, ja fast verteidigen, weshalb sie mit ihren 23 Jahren noch zu Hause wohnt. Das kann ganz schön nervig sein, wie sie meint. Schon nur deshalb, weil sie selber mit der Situation hadert und sich gerne von ihrer Mutter abnabeln würde.
In ihren eigenen vier Wänden könnte sie mutmasslich ihre Persönlichkeit entfalten, doch mit dem Auszug sind auch Ängste verbunden; es braucht Mut und Überwindung. «Viele Eltern hier in der Schweiz unterstützen ihre Kinder beim Ausziehen, auch finanziell. Eine solcheHilfe fehlt mir.»
Ihre Mutter stehe ihr sehr nahe, aber gerade dieser Umstand macht die häusliche Trennung auch nicht unbedingt einfacher. «Ich möchte meine Mutter weder kränken noch möchte ich ihr weh tun.»
Inzwischen hat Elodie mehrere Wohnungen besichtigt, zum Vertragsabschluss kam es bislang noch nicht – sehr zur Zufriedenheit ihrer Mutter.