Nadia gehört zu der Generation junger Frauen, die nicht mehr einsehen will, weshalb ihre Periode schambesetzt sein soll. Und doch ertappt auch sie sich manchmal dabei, wie es ihr unangenem ist, eine Packung Binden aufs Kassenband zu legen. Erst recht, wenn dahinter ein Mann sitzt. «Das Schamgefühl wurde uns leider anerzogen.»
Das Credo unserer Mütter war Diskretion. Zwar machen sich Aktivistinnen vermehrt in den Sozialen Medien für einen offenen Umgang mit der Periode stark, doch in der breiten Masse angekommen ist das Thema definitiv noch nicht.
Nach einem Tampon fragen? Nur im Flüsterton.
«Wenn ich an einem Tisch sage, womit ich mein Geld verdiene, herrscht betretenes Schweigen.» Petra Häfeli-Kaiser verkauft Periodenunterwäsche. Nach der Geburt ihrer zweiten Tochter suchte sie nach einer nachhaltigen Alternative zu Binden und Tampons und stiess dabei auf die auslaufsicheren und waschbaren Slips.
Wir tauschen uns eindeutig zu wenig aus.
Ihr Online-Geschäft boomt. Umso erstaunlicher findet die ausgebildete Naturheilpraktikerin, wie unwissend und unbeholfen viele ihrer Kundinnen seien. Mit der Frage, wie stark sie im Vergleich bluten würden, seien die meisten Frauen überfordert. «Wir tauschen uns eindeutig zu wenig aus.»
Täglich menstruieren schätzungsweise 300 Millionen Menschen gleichzeitig. Die Hälfte der Bevölkerung blutet Monat für Monat und das während gut 40 Jahren ihres Lebens.
Trotzdem wird das Thema totgeschwiegen. In Zimmerlautstärke vor Kollegen nach einem Tampon fragen? Eher wird geflüstert, als handle es sich um etwas Verbotenes, um dann den Tampon versteckt auf die Toilette zu schmuggeln. Auch in der Werbung für Hygieneprodukte bleibt das Menstruationsblut in der Regel unsichtbar und wird durch eine blaue Flüssigkeit ersetzt.
Schuld daran ist die uralte religiöse Auffassung, dass menstruierende Frauen unrein seien.
Monatsblutungen werden oftmals als etwas Ekliges, gar Schmutziges, empfunden. Woran liegt das? «Schuld daran ist die uralte religiöse Auffassung, dass menstruierende Frauen unrein seien.»
Dieses Bild, so Beatrice Loosli, habe sich stark in unseren Köpfen verankert. Die 44-Jährige bietet Kurse rund um das Thema «natürlich Frausein» an. Sie möchte Mädchen und Frauen einen offenen, positiven Umgang mit ihrer Periode vermitteln.
Dazu gehöre auch, die eigenen Bedürfnisse anzumelden. «Frauen sollten versuchen, nach ihrem Zyklus zu leben.»
Achterbahn der Gefühle
Nadia plagen monatlich heftige Unterleibsschmerzen. Meist kommt sie ohne die Hilfe von Medikamenten nicht durch «ihre Tage». Bei der Arbeit fehlen mag die Ergotherapeutin aus Pflichtgefühl trotzdem nicht. Egal, ob Frauen sich während der Periode unfit und abgeschlagen fühlen, unter Bauch –, Rücken – oder Kopfschmerzen leiden, das Gros schweigt und funktioniert.
Zu dieser Mehrheit gehört auch Melanie Brugger. Zuweilen ist ihr Periodenschmerz so heftig, dass sie kaum mehr stehen kann.
Die zweifache Mutter ist Störköchin und betreibt ein eigenes Catering. «Ich lasse mir vor den Gästen nichts anmerken, das fände ich unprofessionell.» Fast noch mehr als die körperlichen beeinträchtigen sie die psychischen Beschwerden, welche die monatlichen Hormonveränderungen mit sich bringen. Kurz vor ihrer Menstruation fällt Melanie Brugger regelmässig in ein seelisches Tief.
Viele Frauen kennen das Gefühl, wenn die Stimmung Achterbahn fährt. Von Aggressionen über Gehässigkeit zu Selbstzweifeln bis zu depressiver Verstimmung.
Seit ich natürlich verhüte, spüre ich meinen Zyklus wieder und versuche auf die Signale meines Körpers zu achten.
Die Zyklus-Coachin Beatrice Loosli rät den Betroffenen, wichtige Termine vorausschauend auf die Zeit nach der Menstruation zu verschieben. Was allerdings voraussetzt, dass Frauen sich mit dem weiblichen Zyklus beschäftigen.
Im Flow mit dem Zyklus
Melanie Glover befasst sich als Yoga- und Tanzlehrerin von jeher mit ihrem Körper, seit einiger Zeit nun auch intensiv mit ihrem Zyklus und das, im Gegensatz zu den meisten, nicht nur um den Regelschmerz in den Griff zu bekommen. «Seit ich natürlich verhüte, spüre ich meinen Zyklus wieder und versuche auf die Signale meines Körpers zu achten.»
Sich Pausen gönnen, auch mal Verabredungen oder Geschäftstermine absagen. Schwierig in einer Gesellschaft, die immer gleichbleibende Leistung und Produktivität verlangt.
Die Jungpolitikerin Jo Vergeat arbeitet daran, mehr Bewusstsein für die Menstruation zu schaffen und scheut sich darum auch nicht davor, auf Instagram Posts über ihre eigene Periode zu machen. Was ihr bereits mehrmals einen Shitstorm einbrachte.
Vorwürfe zum Beispiel, wie sie sei peinlich und nicht ehrenvoll genug für ein solches Amt. «Solche Anschuldigungen treffen und verletzen mich, klar.» Nichtsdestotrotz, Jo Vergeat macht weiter. Damit sich sie gesamtgesellschaftlich endlich etwas ändert. Und zwar möglichst rasch.