In «The Villages», einer eigens angelegten Kleinstadt für Rentnerinnen und Rentner in Florida, wohnen 150’000 Menschen. Der Rest der Welt bleibt hinter den Eingangstoren zurück.
Nach arbeitsreichen Berufsjahren wollen die Seniorinnen und Senioren in dieser utopisch anmutenden Retortenstadt unter sich bleiben und den Ruhestand geniessen.
Zehn geschenkte Jahre
Unter der strahlenden Sonne Floridas, so das Versprechen, gibt es einen Ort, an dem man sein Leben auf angenehmste Weise um zehn Jahre verlängern kann.
Mit 54 Golfplätzen, 96 Swimming-Pools, unzähligen Freizeitanlagen und Clubs sind «The Villages» eine Art Disneyland für 150’000 Rentner und Rentnerinnen.
Happy Hour beginnt um 11 Uhr vormittags. Bauchtanz, Synchronschwimmen, Golf oder Karaoke – die Silver-Ager geniessen den Ruhestand.
Altersloses Leben
Gelegen hinter gut bewachten Eingangstoren, sind «The Villages» die weltgrösste Seniorenstadt, in der man nie daran erinnert wird, wie alt man ist. Denn wo alle alt sind, existiert das Alter nicht.
Friedhöfe, die diesen Eindruck stören könnten, gibt es nicht, und wenn die Ambulanz kommt, dann ohne Sirene.
Vom Wohnwagen-Park zur Mega-Siedlung
«The Villages» wurden in den frühen 1980er-Jahren von Harold Schwarz als Wohnwagensiedlung gegründet und sie wird bis heute als Familienunternehmen der Familie Morse, den Enkeln von Harold Schwarz, geführt. Fast identische, in Pastelltönen gehaltene Einfamilienhäuser mit weiss gestrichenen Zäunen und perfekt manikürten Rasenflächen erstrecken sich nun über 142 km2, einer Fläche doppelt so gross wie die Stadt Zürich.
Die Rentnersiedlung ist eine Mischung aus privat geführtem Unternehmen und behördlich organisierter Kleinstadt; eine Eigenart der Gesetzgebung in Florida, die speziell für den Bau solcher Rentnersiedlungen geschaffen wurde und verfassungsmässige Widersprüche gegen die Alterssegregation zulässt.
Republikanische, weisse Hochburg
98 Prozent der Menschen hier sind weiss und zwei Drittel sind Republikaner. Die meisten von ihnen haben 2016 und 2020 Trump gewählt. Die «Villages» gelten als Zufluchtsort von «Blue-Collar-Workers», der amerikanischen Arbeiterklasse, die nach vielen Jahren harter Arbeit wie Könige leben will.
«You don’t have to be a millionaire to live like one» («Sie müssen kein Millionär sein, um wie einer zu leben»), so die Werbevideos der «Villages». Die Preise der Häuser rangieren zwischen 80'000 und 2.5 Millionen US-Dollar. Wer hier ein Haus kauft, kann für eine monatliche Zahlung von rund 140 Dollar alle Angebote nutzen, inklusive der Golfplätze.
Mindestalter 55
Menschen unter 55 dürfen hier nicht leben, sondern maximal 30 Tage pro Jahr auf Besuch kommen. Wer hier jung ist, ist entweder Besucher oder arbeitet für «The Villages» in einem der vielen Restaurants, als Gärtnerin, Installateur, auf dem Golfplatz oder als Hundefriseur.
Die Wohnhäuser sind alle in künstlichen Dörfern arrangiert, welche sich ausserhalb der Stadtzentren, die wie Filmkulissen gestaltet sind, befinden.
Zum Einkaufen fahren die Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Golfcarts zu den nahe gelegenen Einkaufsmeilen. Sie beherbergen riesige Supermärkte, Banken, Kreditunternehmen und Einrichtungsgeschäfte, die allesamt der Familie Morse gehören. In jedem «Dorf», insgesamt sind es 96, gibt es ein Freizeitzentrum mit Swimmingpool.
Pflege in der Peripherie
Am Stadtrand befinden sich Pflegeeinrichtungen und das unternehmenseigene Krankenhaus. Direkt hinter der Stadtgrenze befindet sich die Privatschule für die Kinder der Angestellten, denn der permanente Aufenthalt von jungen Menschen innerhalb des Alters-Resorts ist nicht vorgesehen.
Geschlossene Gesellschaft
Schranken halten die Welt da draussen in Schach. Kameras fotografieren jeden, der hineinfährt. Rentner in Sicherheitswesten fragen Besucher, was sie im Schilde führen. Einlass darf jedoch niemandem verwehrt werden.
Die Strassen sind nämlich mit Steuergeldern gebaut und sind daher, genau wie die Freizeitzentren, öffentlich zugänglich. Es erstaunt nicht, dass diese «Öffnung» der mit öffentlichen Geldern gebauten Gemeinschaft erst juristisch erzwungen werden musste.
Plötzliche Senkgruben
Die vielen Golfplätze und grünen Rasenflächen machen «The Villages» zu einem der grössten Wasserverbraucher im chronisch wasserarmen Bundesstaat Florida. In der Folge senkt sich der Grundwasserspiegel und zieht Erdmasse mit sich nach unten.
Resultat sind Wasserknappheit und plötzlich auftretende Senkgruben, die teilweise ganze Häuser verschlucken. Das «The Villages»-Management bestreitet die Korrelation von Senkgruben und Wasserverbrauch, aber in den Nachbargemeinden formiert sich auch deshalb Widerstand gegen das Alters-Resort.
Aggressive Expansion
Das rasante Wachstum der Siedlung bedroht die Umwelt, und sie führt auch zu einer Gentrifizierung der Region. Viele einkommensschwache Bewohner der Region verkaufen ihre Parzellen an die vermögenden «The Villages».
Die verbleibenden Grundeigentümer finden sich so bald in der Minderheit. Auf politischer Ebene hat das zur Folge, dass «The Villages» mit Abstand die meisten Stimmbürgerinnen und -bürger stellen und somit die gesellschaftliche Agenda dominieren. Die Nicht-«Villagers» haben das Nachsehen.
Widerstand formiert sich
Die verbleibenden Anwohner haben sich unterdessen in einer Interessensgruppe zusammengeschlossen und wehren sich mit Petitionen, Protestschildern und Bürgerinitiativen.
Da der Grossteil der Infrastruktur wie Strassen und Dorfplätze mit Steuergeldern finanziert wurde, müssen «The Villages» den Anwohnerinnen den Zugang gewähren, sie versuchen aber mit Schranken, Verbotstafeln und ihrer finanziellen und politischen Macht möglichst die «Bubble» zu beschützen.
Die Popularität des Alters-Resorts macht «The Villages» zu der am schnellsten wachsenden Kleinstadt der USA. Für die verbleibenden Anrainer wird deshalb der Widerstand gegen das Projekt mit jedem Jahr schwieriger. Ob sie die Expansion stoppen oder zumindest bremsen können, bleibt deshalb ungewiss.