Ich wuchs als einziger Dunkelhäutiger in Heiligenberg (D), einem kleinen Dorf mit 1500 Einwohnern, im Hinterland des Bodensees auf. Ich weiss, wie es ist, nicht der «Norm» zu entsprechen. In diesem Film versuche ich den dort lebenden, 55-jährigen Handwerker Markus davon zu überzeugen, sich als schwul zu outen.
Für meinen ersten Film stellte ich mir mein Dorf als idealen Drehort vor. Es ist für mich noch immer Heimat, auch wenn ich seit Jahren nicht mehr dort lebe. Ein gutes Übungsfeld, wo mich fast jeder kennt – eine Tatsache, die mir aber auch Gewissensbisse bescherte.
Niemand weiss Bescheid – nicht einmal der Protagonist
Markus ist im Dorf bestens integriert. Er ist Präsident des Fasnachtsvereins, des grössten Vereins im Dorf. Auch mein Grossvater übte dieses Ehrenamt über 20 Jahre lang aus und ich bin seit meiner Kindheit Vereinsmitglied. Ich möchte meinem Vereinskameraden Markus helfen, sich von der Last seines Geheimnisses zu befreien. Zumal für mich die Vorstellung unerträglich ist, jemand müsse sich verbiegen, um mit der Heimat kompatibel zu sein.
Wie filme ich jedoch die Geschichte, die ich erzählen will? Als ich Markus mit der Kamera begleite, denken natürlich alle, ich mache einen Film über die Fasnacht. Niemand ahnt, dass es eine Geschichte über sein Coming-out werden soll. Zu Beginn weiss das nicht einmal Markus.
Wie soll ich das Thema angehen, ohne zu riskieren, Markus für mein Projekt zu verlieren? Ich sage ihm, ich wolle ein Porträt über ihn machen. Ich drehe den Film also unter Vorspiegelung falscher Tatsachen.
Beziehungsstatus?
Für den ersten Drehtag plane ich ein einfaches Interview, um Markus und mich mit der Kamerasituation vertraut zu machen. Doch gleich nach der ersten Frage zu seinem Beziehungsstatus, entwickelt sich das Gespräch so, dass Markus sofort klar wird, um was es im Film gehen soll. Ich bin sehr froh, dass die Katze aus dem Sack ist. Von diesem Tag an, ist es nicht nur mein Film, sondern unser Film.
Wir beide fragen uns oft, wie verärgert die Menschen wohl reagieren werden, wenn sie merken, dass wir sie im Unklaren darüber gelassen haben, um was es im Film wirklich geht.
Schweigen für die Gemeinschaft
Dieses ungute Gefühl bringt mich zu unangenehmen Erkenntnissen. Ich kann zu einem kleinen Teil mitfühlen, wie belastend es ist, permanent etwas zu verschweigen. Viel erschreckender ist aber die Erkenntnis, wie sehr es mich interessiert, was andere über mich denken.
Ich hatte es einfacher als Markus, da ich nie eine Wahl hatte. Mir sieht man auf den ersten Blick an, dass ich nicht der Norm unseres kleinen Dorfes entspreche. Ich hatte gar nie die Option mein «Andersein» zu verstecken. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich mich an Markus' Stelle wahrscheinlich auch dazu entschieden zu schweigen, um dazuzugehören.
Mir wird schmerzlich bewusst, wie tief ein dörfliches Denken auch in mir verankert ist. Dies bewirkt in mir Trotzreaktionen: Ich möchte nicht, dass mir die Meinung anderer Leute so viel bedeutet. Ich wünsche mir, dass Markus frei leben kann, ohne dieses bleierne Gefühl eines Geheimnisses. Ich will den Film trotz aller Zweifel fertigstellen.
Reaktionen im Dorf
Jetzt, da der Film fertig produziert ist, bin ich besonders froh und überrascht von den positiven Reaktionen im Dorf. Ich habe einige Menschen falsch eingeschätzt – und ich lag richtig mit meiner Hoffnung: Markus könne befreit leben, wenn er sich outen würde. Er hatte den Mut dies zu tun und gibt seinen Mitmenschen somit die Chance zu reagieren. Oft schätzt man Menschen falsch ein, sie sind offener und toleranter als man denkt. Aber, das ist doch eigentlich ein offenes Geheimnis.