Annette Binninger ist Ressortleiterin für Politik und Wirtschaft bei der Sächsischen Zeitung, die ihren Hauptsitz in Dresden hat. Sie ist unterwegs zu einer Podiumsdiskussion, die sie leiten wird. Die Kandidaten des Wahlkreises werden dort auftreten.
In Dresden ist das Klima im Vorfeld der Wahlen besonders angespannt: «Es wissen alle, dass unglaublich viel auf dem Spiel steht. Man merkt eine wachsende Aggressivität, Nervosität und unglaubliche Dünnhäutigkeit auch bei den Parteien», sagt Annette Binninger, bevor sie das Podium betritt.
Die Wahlen in den Bundesländern Brandenburg und Sachsen stehen nicht nur wegen der dort möglichen parteipolitischen Verschiebungen im Fokus – sie werden auch eine Rolle für die grosse Koalition in Berlin spielen. «Es geht diesmal wirklich um alles», meint Annette Binninger. Ein enormer Druck ist aufgebaut, den auch die Journalisten der Sächsischen Zeitung spüren.
Man merkt eine wachsende Aggressivität, Nervosität und unglaubliche Dünnhäutigkeit auch bei den Parteien.
Einer, der die Region schon lange kennt, sagt: «Es ist so, als hätte jemand tatsächlich die berühmte Büchse der Pandora geöffnet – aus der dann Dinge wie Unzufriedenheit, Wut, Hass, Verständnislosigkeit entsprungen sind.»
Reporter Ulrich Wolf hat schon 2014 über die damals neue Pegida-Bewegung geschrieben. «Pegida» steht für «Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes», und diese Bewegung, die sich durch Fremdenfeindlichkeit auszeichnet, habe das politische Klima nachhaltig verschärft.
Blanker Hass im Netz
Zu den erklärten Feinden von Pegida gehörten neben Politikern auch die Medien. Immer wieder wird Ulrich Wolf mit dem Vorwurf konfrontiert, Journalisten seien parteiisch und der verlängerte Arm der Politik. Besonders im Netz ist die Kritik dann oft blanker Hass.
So wird er als «faules Schwein von der Lügenpresse» bezeichnet, als «Schmarotzer, wie die von der Politik». Auch Drohungen werden ausgesprochen.
Unter den Reportern der Sächsischen Zeitung ist Tobias Wolf Experte für die AfD. Er recherchiert zu den Führungspersonen der ostsächsischen AfD und zu innerparteilichen Spannungen. Vor ihm liegt ein internes Papier der Partei. Thema: Umgang mit Presse. Darin fallen Begriffe wie: «Feindpropaganda» und «Schwarze Liste».
Tobias Wolf hat diese Ablehnung selbst erfahren. Vor einigen Jahren wurde er von der AfD aus dem Saal geworfen. Ein Filmer, offenbar aus dem AfD-Umfeld, hat die Szene ins Netz gestellt.
Musterland Sachsen
Sachsen ist das Bundesland im Osten Deutschlands, dem es am besten geht. Wohlstand und Kultur auf der einen Seite – auf der anderen Seite aber auch eine grosse Zahl von Menschen, die sich abgehängt fühlen.
Reporter Ulrich Wolf rückt deshalb die Kleinstadt Bautzen ins Zentrum einer Hintergrundstory, an der er länger arbeiten wird. Bautzen hat 40'000 Einwohner und befindet sich in einer strukturschwachen Gegend.
Hinter den freundlichen Fassaden gärt es. Seit 2015 besonders stark, als Flüchtlinge in Strömen ihre Länder verlassen mussten und nach Deutschland kamen.
Bautzen – eine gespaltene Stadt
Die Last der Aufgaben hat auch Bautzen zugesetzt, eine Spaltung geht durch die Stadt. Bautzen hat heute den Ruf, eine ausländerfeindliche Stadt zu sein. Schlägereien angeblich zwischen Rechten und Flüchtlingen wurden auch schon gefilmt und ins Netz gestellt.
Es ist viel Heimat verloren gegangen durch die Abwanderung nach der Wende.
Linke und liberale Bürger stehen konservativ bis rechten Einwohnern fast unversöhnlich gegenüber. Diese Fronten haben sich durch Entwicklungen in der Vergangenheit noch verschärft, analysiert Reporter Ulrich Wolf: «Es ist auch viel Heimat verloren gegangen durch die Abwanderung nach der Wende, durch einen kompletten Systemwechsel, durch einen Wirtschaftswechsel.» Und nun steht die Region erneut vor einem einschneidenden, wirtschaftlichen Wandel – vor dem Ausstieg aus der Braunkohle.
«Es ist für die Menschen einfach zu viel. Und sie suchen nach einfachen Lösungen, die Populisten nun mal bieten», meint Ulrich Wolf. Er ist deshalb gespannt, wie eine öffentliche Diskussion verlaufen wird, zu der Alexander Ahrens, Bürgermeister von Bautzen eingeladen hat.
Öffentliche Diskussionen mit Bürgern und Politikern
Der Sozialdemokrat plädiert in seiner Begrüssung dafür, andere Positionen auszuhalten, sich sachlich mit ihnen auseinander zu setzen, und das Gegenüber nicht gleich persönlich zu verunglimpfen.
Gehen Sie wieder!
Der Grünen Landtags-Kandidatin schlägt dann aber viel Ablehnung entgegen. Eine Bürgerin unterstellt der zugewanderten Politikerin, die Stadt Bautzen völlig falsch einzuschätzen und zu Unrecht als «braune Stadt» abzustempeln. Sie schliesst ab mit den Worten «Wer sind Sie? Gehen Sie wieder!»
Der tobende Applaus auf diese Aussage gibt dem Reporter zu denken, das sei ja fast eine Vertreibung. Er kommt jedoch zum Schluss, dass er mit seiner journalistischen Arbeit auf dem richtigen Weg ist und er unbedingt weitermachen muss.
Neue Kräfte gewinnen an Einfluss
Nach intensiver Recherche publiziert Ulrich Wolf seinen dreiteiligen Artikel über Bautzen. Dieser zeigt, wie sich die politische Stimmung in Sachsen verändert, und welche neuen Kräfte an Einfluss gewinnen: «Ich kann es nicht auf die Vokabel ‘neurechtes Netzwerk’ eingrenzen. Es ist ein Durcheinander-Netzwerk von Menschen und Gruppierungen, die wir vor sechs, sieben Jahren noch als völlig abgedreht bezeichnet hätten.»
Es ist ein Durcheinander-Netzwerk von Menschen und Gruppierungen, die wir vor sechs, sieben Jahren noch als völlig abgedreht bezeichnet hätten.
Es sind Arbeiten wie diese aus dem Hause «Sächsische Zeitung», die manchen nicht passen. Halbwahrheiten verbreite diese, Diffamierungen, Textpassagen würden umgedichtet, sagt beispielsweise Tino Chrupalla von der Alternative für Deutschland (AfD).
Er steht der Ortspartei Görlitz vor und sitzt im Bundestag. Der AfD werde auch immer Zerstrittenheit unterstellt. «Natürlich gibt es bei uns Meinungsverschiedenheiten. Wir sind eine recht junge und dynamische Partei, aber bei uns gehen auch viele Dinge noch wesentlich demokratischer und offener ab als in anderen Parteien.»
Top-Thema Sicherheit
Zurück an der Wahlkampf-Veranstaltung in Dresden. Ressortleiterin Annette Binninger, die die Diskussion leitet, greift das Top-Thema Sicherheit auf.
Die AfD-Vertreterin erzählt von einer jungen Frau, die in Leipzig von einem Migranten tätlich angegriffen worden sei, weil sie nicht mit ihm flirten wollte.
Der CDU-Mann warnt vor Übertreibungen und verlangt Konsequenz bei den Intensivstraftätern, und der Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen ärgert sich darüber, dass Statistiken zurechtgebogen würden mit dem Ziel, die Lunte anzuzünden, und sich dann aus dem Staub zu machen.
Ich glaube, von dieser Defensivhaltung profitiert die AfD.
Annette Binninger zieht am Schluss des Podiums Bilanz. «Viele von der Opposition oder von den Regierungsparteien meinen, dass sie permanent gegen die AfD agitieren müssen. Anstatt selber positiv zu sagen, was sie denn schaffen wollen und wofür sie stehen. Ich glaube, von dieser Defensivhaltung profitiert die AfD.»
Laut letzten Umfragen kommt die AfD in Sachsen auf einen Wähleranteil von 26 Prozent, die CDU auf 28 Prozent. In wenigen Tagen wird gewählt, dann liegen verbindliche Resultate vor. Die Sächsische Zeitung wird auch am Wahlsonntag ihre Reporter im Einsatz haben, berichten und analysieren.