Vor dreissig Jahren sah Cristian Reymond aus wie ein Junkie. Die Krankheit hatte den gelernten Koch und Hotelier gezeichnet. Er traute sich oft nicht auf die Strasse, ging ungern an Parties mit fremden Menschen. Sie stellten die immer gleichen Fragen. Darauf hatte er keinen Bock.
36 Tabletten pro Tag
Überhaupt war der Tagesablauf von A bis Z geprägt durch die HIV-Infektion. Es gab Zeiten, da musste Cristian täglich 36 Tabletten einnehmen. Zu unterschiedlichen Zeiten. Die einen vor, die anderen nach dem Essen. Wieder andere alle zwei, oder alle sechs Stunden. Und zweimal pro Tag musste er sich Medikamente spritzen. Er konnte diesen strikten und lebenswichtigen Ablauf nur einhalten dank Disziplin und einer Stoppuhr.
Ein Reisekoffer für Medikamente
Wenn Cristian auf Reisen ging, sechs Wochen oder mehr, hatte er jeweils einen Koffer dabei nur für seine Medikamente. Damals galten strenge Einreisebestimmungen für HIV-Positive. In manche Länder – zum Beispiel den USA – hätte er gar nicht einreisen dürfen. Aber zu seinem grossen Erstaunen hatte er nie Probleme am Flughafen. Die Beamten kontrollierten seine Medikamente nie wirklich.
Sechs Medis weniger, zehn Kilo Gewicht mehr
Heute ist Cristians Leben mit HIV viel einfacher geworden. Zwei Tabletten morgens, drei abends. Und auch die vielen Nebenwirkungen sind weg. Zumindest spüre er sie nicht mehr.
«Erst wenn du ein Medikament nicht mehr einnimmst, merkst du, welche Nebenwirkungen es hat.»
Endlich nahm ich wieder an Gewicht zu.
Vor wenigen Jahren konnte Cristian auf einen Schlag sechs Medikamente absetzen. «Ich dachte immer, die machen keine Nebenwirkungen. Aber nach dem ich sie nicht mehr einnahm, schlief ich plötzlich viel besser und nahm endlich wieder an Gewicht zu.»
Lebenslänglich schlucken
Cristian hat das Glück in einem Umfeld zu leben, das keine Angst hat und hatte vor Aids und HIV. Seit 25 Jahren ist er mit Rolf liiert, er wusste von Anfang an, dass Cristian HIV-positiv ist.
Heute ist Cristian fünfzig Jahre alt und fühlt sich so fit wie schon lange nicht mehr. Auch den nächsten Jahren schaut er gelassen entgegen.
«Im Alter müssen ja die meisten von uns das eine oder andere Tablettchen schlucken, da macht bei mir eins mehr oder weniger keinen Unterschied mehr.»
Cristian Reymond ist dem Tod nicht nur mehrmals von der Schippe gesprungen, er hat auch eine neue Lebensaufgabe gefunden. In Indien schafft er Arbeitsplätze für benachteiligte Frauen. Ein Gegenentwurf zu seinem Leben als kranker Mensch in der Schweiz.