«Vergewaltigung für mein Hirn», so beschreibt Anna Vichery die beruflichen Strukturen, mit welchen sie zurechtkommen musste. Die 40-Jährige arbeitete als Kindergärtnerin, nach einigen Jahren führte der Berufsalltag mit ADHS zum Burnout.
«Ich musste mich so fest hineinpressen», sagt die Sängerin. Die vorgegebene Lektionslänge, oder die Computer und Organisationsarbeiten machten es schwierig. Das Burnout hat Anna Vichery schliesslich dazu veranlasst, ihr Leben zu verändern. Zurzeit absolviert sie eine Umschulung zur Erwachsenenbildnerin und sie ist umgezogen. Sie lebt nun abgelegen in einer reizarmen Umgebung und hat eine neue Beziehung.
Sie möchte künftig nur noch kreativ arbeiten. Hier ist das ADHS sogar ein Vorteil, sagt Vichery. Dass sie so viel gleichzeitig aufnehmen könne, stärke ihre Kreativität.
Eine vollständige Anpassung komme für sie nicht mehr infrage. Zu stark sei ihr ADHS, dadurch funktioniere sie einfach anders als die meisten Menschen.
Symptome von ADHS äussern sich unterschiedlich
Für Menschen mit ADHS ist es schwierig, sich zu konzentrieren. Aber auch Impulsivität oder innere Unruhe gehören zu den Symptomen.
Bei Frauen äussert sich ADHS oft ohne die klassische Hyperaktivität, auffällig sind hier vor allem eine Verträumtheit oder Probleme, den Alltag zu strukturieren. Mädchen mit ADHS werden deswegen im Kindesalter oft übersehen oder fehldiagnostiziert.
Fachleuten fehlt oft das Wissen, einige bagatellisieren ADHS sogar.
In der Folge entwickeln sich bei ihnen Krankheiten wie Depressionen oder Essstörungen. «Fachleuten fehlt oft das Wissen, einige bagatellisieren ADHS sogar», so Psychiaterin Ursula Davatz. Die 80-Jährige forscht seit 40 Jahren im Bereich ADHS und bemängelt auch den Umgang, den das Bildungssystem mit der Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung pflegt.
Medikamente könnten den Leidensdruck in gewissen Situationen lindern, sagt Davatz. Medikamente seien aber nicht für alle Betroffenen die richtige Lösung. Besonders in kreativen Berufen bewirke Methylphenidat das Gegenteil und schränke die Wahrnehmung ein.
Davatz spricht nicht von einem Aufmerksamkeitsdefizit, sondern von einer Aufmerksamkeitsbreite. Betroffene nehmen mehr wahr als die meisten Menschen, das sei für kreative Berufe wichtig.
Oft helfe es auch, sich von den negativen «Labels» der Krankheit zu emanzipieren. ADHS-Betroffene lernen so das «anders Funktionieren» zu akzeptieren, ohne es zu bewerten und sie können Strategien entwickeln, die ihren Alltag erleichtern.
ADHS als Gabe
Auch Marc-André Flück beschäftigt sich mit solchen Strategien. Selber setzt er auf Transparenz und spricht offen über seine eigene Betroffenheit.
Medikamente sind wieder eine Anpassung. Ich will mich selbst bleiben.
Heute gibt er seine Erfahrungen weiter und coacht andere ADHS-Betroffene. Medikamente kommen für ihn nicht infrage. «Medikamente sind wieder eine Anpassung. Ich will mich selbst bleiben», sagt der Schauspieler.
Sein Wissen rund um ADHS hilft dem Entertainer. Er, der wegen ADHS mit Suizidgedanken kämpfte, will jetzt aktiv werden: Die Gesellschaft wisse noch zu wenig über ADHS, das möchte Flück ändern.