«Wenn man mir vor vier Jahren gesagt hätte, dass ich einmal einen Klettersteig machen würde – ich hätte es für einen schlechten Scherz gehalten!», sagt Alexandra Baumann. Die 43-jährige Kommunikationsfachfrau wog damals 140 Kilogramm bei einer Grösse von 1.60 Meter. Sie litt an gewichtsbedingter Diabetes Typ 2, schon Treppensteigen stellte eine Herausforderung dar.
Beim Spielen mit dem Gottimeitli kam für Alexandra Baumann der Wendepunkt. «Ich konnte nicht mehr aufstehen. Da wusste ich: so kann ich nicht weitermachen.» Alexandra Baumann entschied sich für eine Magen-Bypass-Operation.
Heute ist sie vierzig Kilo leichter. Und viel fitter, wie sie sagt. Baumann trainiert seit vier Jahren mit Personalcoach Steve Husistein. Ein beträchtlicher finanzieller Aufwand für sie, der sich aber lohne: «Alleine hätte ich es nie aus der Komfortzone geschafft.»
Ohne hartes Training keine Chance
Wie lernt man einen Körper schätzen, den man immer abgelehnt hat? Für Alexandra Baumann sind sportliche Herausforderungen der Weg zum besseren Körpergefühl. Sie will zum ersten Mal in ihrem Leben einen Klettersteig überwinden. «Ich will mir beweisen, dass ich das schaffe!»
Personal Coach Steve Husistein unterstützt sie. Alexandra muss genügend Kraft entwickeln, um ihr Gewicht am Fels hochzuziehen und ihre Angst vor der Höhe überwinden. Gerade der mentale Aspekt ist für Husistein wesentlich.
Auch für Musikerin Caroline Krattiger war es nicht leicht. Sie hat innerhalb eines Jahres 40 Kilo verloren. Ohne Operation, aber mit radikaler Ernährungsumstellung, einem Fitnesscoach und sehr viel Training. «Ich nehme schnell ab», sagt sie, «aber leider auch schnell wieder zu». Adipositas sei bei ihr zwar nie diagnostiziert worden, «aber mit 120 Kilo gehörte ich wohl schon in diese Kategorie».
Den Jo-Jo-Effekt kennt Alexandra Baumann zur Genüge. Kaum eine Diät, die sie nicht ausprobiert hat. Mit dem Ergebnis, dass sie letztlich schwerer wurde statt leichter. Diese Erfahrung deckt sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Crash-Diäten sind für Menschen mit Adipositas keine Lösung.
Der Stress mit dem Essen
Zum Essen haben Alexandra Baumann und Caroline Krattiger eine schwierige Beziehung. Kochen können sie beide nicht, stellen sie fest. Und geniessen? Selten, sagen beide: «Essen ist immer ein Stress.»
Menschen mit Adipositas fehlt beim Essen das «Stoppsignal». Die automatische Steuerung des Sättigungsgefühls funktioniert bei ihnen schlecht oder gar nicht. Man könne sich das vorstellen wie eine defekte Verkehrsampel, sagen Fachleute. Das Hirn signalisiert «mehr» – egal, wie viel gegessen wurde. Die Veranlagung dazu ist erblich. Mit dem Willen alleine ist dem schlecht beizukommen. Langfristig behält meist der Körper die Oberhand.
«Ich war schon als Kind runder als andere», erzählt Alexandra Baumann. Sie wurde gehänselt und ausgelacht. Alexandra suchte Trost im Essen. Es begann ein Teufelskreis aus Esssucht, Diäten und Scham. «Je mehr ich mich für mein heimliches Essen und meinen Körper schämte, umso häufiger wurden die Essattacken. Heute habe ich meine Essstörung besser im Griff. Losgeworden bin ich sie aber nicht.»
Anders als Alexandra Baumann hat Caroline Krattiger nicht unter ihrem Gewicht gelitten. Mobbing etwa hat sie nie erlebt. «Auf der KKL-Bühne zählt nicht dein Aussehen, sondern ob du gut spielst oder nicht.»
Das Gewicht stagniert
Drei Jahre nach der Operation steht Alexandra Baumann an einem schwierigen Punkt. Medizinisch gesehen war die Operation ein Erfolg. Vierzig Kilo hat sie verloren, der Diabetes ist verschwunden. Bewegungsfreiheit und Lebensqualität haben sich massiv verbessert. Seit einem Jahr aber stagniert ihr Gewicht, und das ersehnte Normalgewicht hat sich nicht eingestellt. Das macht Alexandra Baumann zu schaffen.
Wer mich nicht kennt, sieht immer noch eine übergewichtige Person. Nicht den Erfolg. Damit muss ich leben.
Nach zwei bis drei Jahren nimmt der Effekt des Magenbypass deutlich ab, bestätigt Arzt Philippe Beissner vom Diabetes Adipositas Zentrum Zürich (DAZZ). Zwei Drittel der Gewichtsabnahme passieren in den ersten sechs Monaten. Der Rest in weiteren sechs bis zwölf Monaten: «Das ist die ‹Honeymoon›-Phase, da geht es einfach runter. Danach wird der Stoffwechsel sparsamer, es kann sogar zu einem leichten Jo-Jo-Effekt kommen.»
Das könne für die Patientinnen und Patienten zäh werden. In seiner Erfahrung pendle sich das Gewicht oft erst nach sieben bis zehn Jahren ein.
Alexandra Baumann ist überzeugt, dass die Gründe für schweres Übergewicht oft in der Psyche zu finden sind. Diesen Knopf habe der Magenbypass nicht lösen können. «Man wird ja am Körper operiert, nicht am Kopf», sagt Baumann. Mit ihrem Körper Frieden zu schliessen, brauche Zeit. «Abnehmen ist ein Marathon. Aber ich bin auf gutem Weg!»