Ein bisschen bunter, ein bisschen lauter, ein bisschen spezieller. Nicht ganz in der Norm eben, so beschreibt sich Emil rückblickend. Er empfand sich schon als Kind immer ein bisschen anders als die anderen. Dies bildete den Nährboden für Mobbing. In der Klasse wurde er schnell zum Aussenseiter. Die Schuld dafür suchte er bei sich selbst. Und schwieg.
Rückblickend sagt Emil, er habe seine Probleme viel zu lang verschwiegen. Bis er nichts mehr auf die Reihe kriegte und Angst vor Kollegen, der Schule, den Pflichten ihn peinigte. Entlastung suchte er, indem er sich selbst verletzte. Immer wieder verletzte er sich. Auch wenn er merkte, dass die Entspannung jeweils nur von kurzer Dauer war.
Krisengeschüttelt in der Pubertät
In der Pubertät sich selbst, und seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, ist nicht einfach. Kommt zusätzlicher Druck hinzu, kann die Belastung zu gross werden. Gefeit vor Krisen ist niemand.
Ein bis zwei von zehn Jugendlichen leiden unter psychischen oder physischen Störungen, die Fachleute auch als Folge des erhöhten Erwartungs- und Leistungsdrucks werten, fasst Annette Cina vom Institut für Familienforschung und -beratung Fribourg an einer Präventions-Tagung in Zürich unlängst zusammen.
Wie Jugendliche damit umgehen, sei sehr unterschiedlich. Gemeinsam sei ihnen eine gewisse Unsicherheit, was die Zukunft bringe und ob sie einen sicheren Platz in der Gesellschaft finden würden.
Als Folge des Drucks ziehen sich manche Jugendliche vor den allgemeinen Leistungserwartungen zurück, geraten in depressive Zustände. Viele beginnen, sich selbst zu verletzen, sie werden suizidal oder bleiben zuhause im Bett, mögen ihr Leben nicht mehr in Angriff nehmen.
Die Jugendlichen würden den Druck verinnerlichen und sähen sich nicht in der Lage, ihn zu bewältigen, sagt Dagmar Pauli, Chefärztin und stellvertretende Leiterin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychologie Zürich (KJPP).
Notfallkonsultationen steigen jährlich
Immer mehr Jugendliche melden sich beim Notfalldienst der KJPP. Die Zahlen steigen im Kanton Zürich besonders stark. Der Trend ist jedoch in allen Landesgegenden derselbe.
Glücklicherweise gibt es heute für Jugendliche in schwierigen Situationen Anlaufstellen. An der KJPP in Zürich kümmert sich das Team von Psychiater Gregor Berger um die Notfälle. Auch ausserhalb der Bürozeiten – rund um die Uhr – nehmen Fachleute der Klinik Telefone entgegen.
Therapie macht stark
Wie hilfreich psychotherapeutische Behandlung ist, zeigt auch das Beispiel von Bene. Er, der sich stets als glückliches Kind empfunden hat, rutschte in der Pubertät in ein Tief, wie er es bislang noch nie erlebt hatte.
Die Krise kam für ihn völlig unerwartet. Plötzlich sah er sich mit unbekannten Gefühlen konfrontiert. Auch er behielt lange Zeit alles für sich, reagierte auf die heftigen Stimmungen mit Rückzug, Depression und einer Essstörung. Immer wieder dachte er auch daran, sich das Leben zu nehmen.
Geschwächt durch die Essstörung brach Bene schliesslich immer wieder zusammen. Bis seine Klassenlehrerin ihn zur Schulpsychologin und schliesslich in die ambulante Therapie in Zürich begleitete.
Steigende Zahlen von stationären Aufenthalten
Fachleute aus Medizin und Pflege können Kinder und Jugendliche auf stationären Abteilungen und in der Tagesklinik eng begleiten.
Ein streng reglementierter Klinikalltag und ein individuell angepasstes Programm helfen, die Krise zu überwinden. Wichtig ist für Eltern und Erziehungspersonen, Alarmzeichen von Kindern und Jugendlichen wahrzunehmen.
Hilfsangebote sind immer wieder knapp
Trotz aufgestockter Bettenzahl kommt es immer wieder vor, dass jugendliche Patientinnen oder Patienten vorübergehend in der Erwachsenenpsychiatrie platziert werden müssen. Denn während Aufnahmeprüfungen fürs Gymnasium oder bei Ende von Probezeiten würden die Fallzahlen steigen, erklärt Notfallpsychiater Gregor Berger.
Ähnliches lässt sich bei der ambulanten Therapie feststellen. Auch hier sind die Behandlungsplätze immer wieder knapp. Dabei ist die Psychotherapie für die Genesung von grosser Bedeutung.
Immerhin, die Gesellschaft stigmatisiert psychische Krisen immer weniger. Hilfe zu suchen und anzunehmen, ist mit ein Grund für die wachsenden Fallzahlen.
Tröstlich ist auch die Aussicht auf Genesung. Die Identitätsbildung ist im Jugendalter noch nicht abgeschlossen. Erhalten Jugendliche und ihre Familien Unterstützung, können die meisten aus der Krise wieder herausfinden.