Als ich das letzte Mal in Nepal war, bebte die Erde mit einer Stärke von 7,9. Das war am 25. April 2015. Häuser stürzten ein, Leute rannten in Panik um ihr Leben. 9000 Menschen starben. Wir, das Team von «DOK», mittendrin in Kathmandu – direkt zurück von Dreharbeiten aus dem Basecamp am Fusse des Mount Everest.
Leute standen vor dem Nichts
Eigentlich planten wir damals eine Fortsetzungsgeschichte zum Film «Sherpas, die wahren Helden am Everest» mit unseren beiden Hauptprotagonisten Norbu Sherpa und seiner Partnerin, der Schweizer Juristin Andrea Zimmermann. Sie wollten den höchsten Berg der Welt besteigen und eine eigene Trekkingagentur aufbauen. Zudem wollten wir zeigen, wie es den Sherpas sieben Jahre nach dem ersten Film geht.
Mit dem Erdbeben veränderte sich der Fokus. Was vorher war, wurde unwichtig. Wir blieben nach dem Beben noch vier Tage in Kathmandu und folgten unseren Protagonisten nun in ihrer Tätigkeit als Helfer nach der Katastrophe.
Wir trafen Leute, die alles verloren hatten, Leute, die vor dem Nichts standen, die traumatisiert waren. Wir hingegen hatten Glück. Vier Tage nach dem Erdbeben stiegen wir in ein Flugzeug, das uns zurück in die Schweiz brachte.
Im September 2016 besuchten wir Norbu und Andrea erneut. Sie führten uns zu jenen Orten, in denen sie Soforthilfe geleistet hatten, und wir erhielten einen guten Eindruck darüber, wo das Land heute nach der Katastrophe steht.
Norbu und Andrea heirateten im Herbst 2015 nach Sherpatradition und sagten Ja zu einem Leben zwischen zwei Kulturen. Zudem begannen sie mit ihrem Hilfsprojekt, dem Bau einer Schule in einer abgelegenen Gegend Nepals, in die sie direkt nach dem Erdbeben erste Hilfsgüter gebracht hatten. Ihren ursprünglichen Traum, den höchsten Gipfel der Welt zu besteigen, erfüllten sie sich schliesslich im Mai 2016.
«Never give up!» lautet das Motto der beiden Frischvermählten. Ein ähnliches Gefühl hatte ich oft auch auf unserer Reise quer durch Nepal.
Symbolisch dafür steht für mich das Tihar Licht-Festival, welches jeweils im Oktober in Kathmandu stattfindet. Kathmandu im Jahre 2016 hatte sich herausgeputzt. Im Altstadtviertel Thamel bummelten die Touristen wie früher, die Nepali kauften auf dem Markt Gewürze und Gemüse, sowie Butterlichter für die Zeremonie am Abend. Eine zaghafte Fröhlichkeit war spürbar. Die Spuren des Erdbebens – versteckt hinter Girlanden.
Einzig im historischen Teil auf dem Durbar Platz, wo die alten Königspaläste in sich zusammengefallen waren, war vieles nur notdürftig abgestützt. Doch auch hier geht das Leben weiter. Die Nepali schauen trotz Trauma vorwärts.
Alle Probleme gelöst? Bei weitem nicht. Die Regierung ist nach wie vor nicht stabil. Die Hilfe schleppend. Grundsätzlich gilt, wer Geld hat, der kann bauen. Ob privat oder mit der Unterstützung von Banken in Form von Darlehen. In Sankhu, einer alten Handelsstadt vor den Toren Kathmandus, wird dies besonders deutlich. Im Herbst 2016 wurde von der Regierung eine erste Tranche von 500 Dollar an alle als Erdbebenopfer registrierten Bürger ausgezahlt. Sie können mit dem erdbebensicheren Hausbau beginnen. Das sind 500‘000 Hausbesitzer.
Daneben gibt es aber viele Leute, die keine Hilfe erhalten. Ein alter Mann beispielsweise, der nicht als Erdbebenopfer registriert wurde, weil er nicht zu Hause war. Oder Menschen, die das Land auf dem sie wohnen, nicht selber besitzen. Immer noch lebt der Grossteil der Bevölkerung in Nepal in Blechhütten.
Ganz anders in Namche Bazar, im Everestgebiet, das auch das Zermatt des Solo Khumbu genannt wird. Namche Bazar boomt, die Trekker kommen, um den höchsten Berg der Welt zu sehen. Das Dorf konnte auf finanzielle Unterstützung aus der ganzen Welt zählen. Es wurde nach dem Erdbeben von ausländischen Privatpersonen, Touristen oder Bergsteigern unterstützt und schnell wieder aufgebaut. Selbst Neubauten entstehen. Bezeichnend der Kommentar eines Guesthousebesitzers: «Without Everest we would be nothing.»
«Warum auf den Everest steigen, wenn man auch Gutes tun kann», das sagte Lama Geshe zu Norbu und Andrea im Jahre 2015 vor dem Erdbeben auf ihrem Weg zum höchsten Berg der Welt.
Sie taten beides. Sie stiegen auf den Everest und mit dem Erfolg und der Popularität ihrer Besteigung, sammelten sie in der Schweiz für ihr «Butterfly Help Project» Gelder, mit denen sie in Leptung, einer entlegenen Gegend Nepals, eine Schule bauen wollen. In der Schweiz konnten sie einen Schweizer Architekten dafür gewinnen, die Schule zu entwerfen, Sponsoren zu finden und erdbebensichere Bauelemente nach Nepal zu schicken. Wie alle andern Hilfsorganisationen kämpften sie aber auch mit den Bestimmungen der Regierung.
So geht auch für uns als Team, das vor zwei Jahren in dieses Erdbeben geriet, eine Geschichte zu Ende. Die Rückkehr aus Nepal war dieses Mal anders. Es war eine Rückkehr voller Hoffnung und Zuversicht, obwohl viele Menschen immer noch nicht von der Hilfe der Regierung profitieren konnten. Aber überall, wo wir hinkamen waren Menschen, die anpacken, die das tun, was gerade ansteht, und was das Leben von ihnen verlangt.
Es bleibt viel tun und die Hoffnung, dass all die grossen Pläne, die für das Land bestehen, ob von Seiten der Regierung, privaten Personen oder Hilfswerken, auch wirklich umgesetzt werden. So wie die Schule in Leptung, die dank Norbu und Andrea und der Direkthilfe aus der Schweiz, zu Stande gekommen ist.