Ob der Kuss-Skandal an der WM oder die Kontroversen um das Buch «Oh, Boy» – die Diskussionen um toxische Männlichkeit und Machogehabe sind erneut entfacht und aktueller denn je. In den letzten 50 Jahren ging es punkto Gleichberechtigung und Frauenrechte vorwärts, immer mehr junge Männer nehmen den fortschreitenden Wandel als Bedrohung wahr.
Selbsternannte «Alpha Males», wie der umstrittene Internet-Star Andrew Tate, erreichen ein Millionenpublikum mit frauenfeindlichen Aussagen wie «Frauen seid still und macht Kaffee.» Lukas «Sia» Kohler, Mitglied des Vereins «die Feministen», spricht von einem Backlash: «Bezüglich Gleichstellung bewegen wir uns rückläufig.»
Militärdienst als strukturelle Benachteiligung
Tatsächlich sind junge Männer zunehmend der Ansicht, die Gleichstellung sei grösstenteils erreicht. Obschon die Fakten und Zahlen das Gegenteil belegen.
Laut dem Bundesamt für Statistik verdienen Frauen in der Schweiz immer noch 1500 Franken weniger pro Monat als Männer - wovon nur 52 Prozent durch objektive Faktoren wie berufliche Stellung oder etwa Dienstjahre erklärt werden können. Die restlichen 48 Prozent sind potenzielle Lohndiskriminierungen aufgrund des Geschlechts.
Als Gegenargument machen reaktionäre Kreise den Militärdienst als strukturelle Benachteiligung der Männer geltend. Markus Theunert, Fachmann für Männer und Geschlechterfragen, bestätigt: «Die einseitige Militärdienstpflicht für Männer ist klar eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und nicht in Einklang mit der Schweizer Verfassung zu bringen.»
Theunert fügt aber auch an: «Diese strukturellen Ungleichheiten können nicht gegeneinander abgewogen werden». Ziel sollte sein, dass weder Frauen noch Männer Opfer solcher Diskriminierungen sind.
Die Rolle des Ernährers
Die Identitätskrise der Männer kann auch durch die finanzielle Unabhängigkeit der Frau erklärt werden. Feminist Lukas «Sia» Kohler nimmt die neuen, diversen Rollenbilder als Chance wahr.
Dass der Mann nicht mehr zwingend die Aufgabe des Ernährers erfüllen müsse, könne durchaus als Entlastung und Gewinn gewertet werden: «Somit ist besser möglich, mehr Zeit mit seinen Kindern zu verbringen und eine liebevolle, zärtliche Bindung aufzubauen. Das ist doch erfüllender als hochprozentig zu arbeiten.»
Frauenhass als Erfolgsmodell
Andrew Tate, der selbsternannte König der toxischen Maskulinität, kämpft auf seinen Kanälen gegen moderne Rollenmuster an und fördert aus Sicht vieler Gleichgesinnter das männliche Empowerment: «Nimm das Leben selbst in die Hand, sei ein richtiger Mann!»
Zwar geht es in seinen Videos vordergründig auch um körperliche Selbstoptimierung und finanzielle Unabhängigkeit, dabei schwingt aber stets Frauenhass und ein misogynes Weltbild mit.
Teenager weltweit lieben Tates Auftritte und Botschaften. Dass die Polizei gegen ihn wegen Vergewaltigung und Menschenhandel ermittelt, tut seinem Erfolg keinen Abbruch. Im Gegenteil. Der Frauenhasser ist einer der meistgegoogelten Personen im Netz und bleibt für viele junge Männer ein erstrebenswertes Vorbild.