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Miliz-Feuerwehr in der Schweiz Mehr Einsätze, weniger Freiwillige: Ist die Feuerwehr in Not?

Ob Hochwasser, Feuer oder Verkehrsunfall: Ausserhalb der grossen Schweizer Städte kommen Miliz-Feuerwehrleute im Ernstfall zu Hilfe. Obwohl es schweizweit immer mehr Einsätze gibt, brennen immer weniger Menschen für den Job. Wo harzt es?

Es sind keine zehn Minuten seit dem Alarm vergangen, da rücken die ersten Feuerwehrleute der Feuerwehr Region Hindelbank im Kanton Bern aus. Mit Blaulicht und Sirene eilen sie zum Einsatzort. Im Ernstfall muss es schnell gehen, sagt Feuerwehrkommandant Reto Porter. Rund 20- bis 30-mal im Jahr wird seine Truppe alarmiert.

Dieser Alarm war ein Fehlalarm. Man wisse nie, was einen erwartet. «Dementsprechend wird jeder Alarm ernst genommen», sagt Kommandant Portner. Seine 40 Feuerwehrleute sind für rund 4000 Menschen in den Gemeinden Hindelbank und Bäriswil verantwortlich.

Laut Verordnung der Berner Gebäudeversicherung muss die Feuerwehr bei 80 Prozent der Alarmierungen innert 10 bis 15 Minuten vor Ort sein. So oder so ähnlich ist das in den meisten Kantonen geregelt. Dies ist nur möglich, wenn die Feuerwehrleute im Dorf wohnen und deshalb schnell einsatzfähig sind.

Feuerwehrregelung auf dem Land

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Während in den grossen Städten meist eine Berufsfeuerwehr im Einsatz ist, sind dies auf dem Land die Dorfbewohnerinnen und -bewohner, die in ihrer Freizeit freiwilligen Feuerwehrdienst leisten. Dafür erhalten sie von den Gemeinden einen Sold.

Wer dienstpflichtig ist und nicht in die Feuerwehr eintreten will, leistet eine Ersatzabgabe und zahlt beispielsweise einen gewissen Prozentsatz vom steuerbaren Einkommen an die Gemeinde. Diese Regelung variiert von Kanton zu Kanton.

Mehr Einsätze, weniger Leute

Ein Blick in die Feuerwehrstatistik zeigt: In den letzten 20 Jahren hat die Anzahl Feuerwehrleute um ein Drittel abgenommen. Gleichzeitig ist die Anzahl Einsätze bei Bränden, Elementarereignissen wie Hochwasser oder Verkehrsunfällen angestiegen. Rund 60 Prozent der Einsätze finden ausserhalb der Ballungszentren statt und werden also von Miliz-Feuerwehren geleistet.

Im Bernischen Hindelbank ist die Anzahl an Feuerwehrleuten im Moment zufriedenstellend. «Wir müssen aber immer weiter aktiv rekrutieren, damit das auch so bleibt». Feuerwehrkommandant Portner lädt dazu jedes Jahr an einen Informationsanlass ein.  

Von rund 200 neu Zugezogenen und neu Dienstpflichtigen, die eingeladen werden, kommt aber jeweils nur eine Handvoll Interessenten und Interessentinnen. «Die Leute sind heutzutage nicht mehr bereit, etwas für die Gesellschaft zu machen. Es ist eine Nehmermentalität», sagt Portner.

Helfen aus Leidenschaft 

Beim Besuch bei der Feuerwehr in Hindelbank wird klar: die Motivation derjenigen, die hier Feuerwehrdienst leisten, ist gross. Der 23-jährige Mick Fankhauser war schon von Kind auf fasziniert von der Feuerwehr. 

Für ihn ist es ein schönes, aber zeitintensives Hobby. «Der Zeitaufwand ist nicht zu unterschätzen». Neben den 10 bis 15 Übungen im Jahr, die abends unter der Woche oder am Wochenende stattfinden, schaut er zusätzlich regelmässig im Feuerwehrmagazin nach dem Rechten. «Da gibt es immer etwas zu tun. Aber für mich ist das eine Leidenschaft. Ich könnte nicht ohne die Feuerwehr». 

Feuerwehrmann in Uniform lehnt an rotem Feuerwehrfahrzeug.
Legende: Wie der Vater, so der Sohn: Mick Fankhauser kommt auch an Wochenenden ins Feuerwehrmagazin. SRF

Sein Vater, Markus Fankhauser, ist heute der älteste Feuerwehrmann in Hindelbank. Er ist stolz, bald seinen Posten als Materialwart und als Chef der Jugendfeuerwehr seinen zwei Söhnen übergeben zu können.

Noch immer eine Männerwelt 

Der Frauenanteil in den Schweizer Feuerwehren steigt stetig. Trotzdem ist er mit rund 12 Prozent noch tief. Für Feuerwehrfrau Sandra Gerber unverständlich. «Es ist so schade!» Schon bei der Jugendfeuerwehr war sie Feuer und Flamme für die Feuerwehr. Heute ist die 21-jährige Gruppenführerin.

Bei jeder Gelegenheit motiviert die junge Feuerwehrfrau andere, ebenfalls bei der Feuerwehr mitzumachen, so auch eine Zuschauerin einer Feuerwehrübung.

Das Problem der Verfügbarkeit  

Laut der Feuerwehr-Koordination Schweiz, der Zusammenschluss aller kantonalen Feuerwehrinstanzen, sei die schweizweite Abnahme der Anzahl Feuerwehrleute verkraftbar. Dank technischer Fortschritte brauche es weniger Leute im Einsatz als früher. Das grosse Problem sei aber die Tagesverfügbarkeit.  

Frau mit langen roten Haaren vor unscharfem Hintergrund.
Legende: «Wir müssen andere Modelle finden, damit wir die Abdeckung mit dem Milizsystem sicherstellen können», erklärt Petra Prévôt, Generalsekräterin der höchsten Feuerwehrinstanz FKS. FKS

Um der Problematik mit der Tagesverfügbarkeit entgegenzuwirken, müsse man neue Rahmenbedingungen schaffen. «Dessen sind sich auch die Feuerwehrkommandanten und Kommandantinnen der 1137 Feuerwehrorganisationen bewusst», sagt die Generalsekretärin der Feuerwehr Koordination Schweiz.

Mehr Coworking und Kinderbetreuung 

Manche Ideen, welche die Feuerwehr Koordination Schweiz vorschlägt, um für die Zukunft fit zu sein, wurden in einigen Kantonen bereits umgesetzt. Im Kanton Baselland und in Solothurn gibt es beispielsweise Coworking-Arbeitsplätze in Feuerwehrmagazinen. So könne man im eigenen Dorf arbeiten, und gleichzeitig schnell einsatzfähig sein bei einem Alarm.  

Mann sitzt in Büro mit mehreren Computern, Blick nach draussen.
Legende: Co-Working-Arbeitsplätze für die Feuerwehrleute: bei der Feuerwehr Birs in Reinach (BL) sind sie bereits Realität. Feuerwehr Birs

Auch die Entwicklung um das Homeoffice sei positiv. So könnten Feuerwehrleute zumindest zeitweise zuhause arbeiten und seien in ihrer Feuerwehr rasch(er) verfügbar.

Im Kanton Aargau gibt es gar einen Kinderhort. Bei einem Alarm werden automatisch auch Personen aufgeboten, die während eines Einsatzes zu den Kindern der Feuerwehrleute schauen. «Ob all diese Modelle Schule machen werden, wird sich erst noch zeigen und hängt auch von der individuellen Feuerwehr-Organisation ab», erklärt Prévôt.  

Bei der Feuerwehr Hindelbank gibt es solche Modelle nicht. Man sei dafür zu klein, sagt Fourier Beatrix Mathis. Seit 32 Jahren ist sie in der Feuerwehr. Ihre Kinder wurden während Einsätzen von der Nachbarschaft betreut. 

Person in Kleidungslager mit roten und gelben Jacken.
Legende: Beatrix Mathis ist mit 18 Jahren in die Ortsfeuerwehr eingetreten – ein Kinderhort hätte ihr geholfen, Familie und Feuerwehrdienst flexibler zu verbinden. SRF

Wieso brennt man noch für die Feuerwehr? 

Es sind Menschen, die in ihrem Dorf einen Unterschied machen wollen, Verantwortung übernehmen möchten und anderen Menschen gerne helfen. «Vom Student bis zum Militäroffizier, vom Handwerker bis zum Bürolist haben wir alles», sagt Feuerwehrkommandant Portner über seine Truppe.

Wer im Ort Leute kennenlernen möchte, findet in der Feuerwehr schnell Anschluss. Doch ganz ohne ist der Dienst an der Gemeinschaft nicht. Es ist zeitintensiv und nicht ganz ungefährlich.

Rec., 24.2.2025, 22:30 Uhr

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