Was ist Ihr persönlicher Lebenstraum? Millionär werden? Eine Familie gründen? Auf der Spitze des Mount Everest zu stehen? Mit Fleiss, Schweiss und etwas Glück lassen sich solche Ziele erreichen, um irdisches Glück zu erleben. Aber was soll man von jemandem halten, der sein Glück nicht auf der Erde sucht, sondern glaubt, es auf dem Mars zu finden? Ist das ein realistischer Lebenstraum oder einfach nur die eingeschränkte Sicht eines Fantasten, der die tödlichen Gefahren einer Mission zum roten Planeten verdrängt?
Solche Fragen beschäftigen mich, seitdem ich Steve Schild aus dem thurgauischen Balterswil kennengelernt habe. Der 28-Jährige behauptet von sich, keinen anderen Lebenstraum zu hegen, als auf den Mars auszuwandern. Im Jahre 2025 soll es so weit sein. Dann nämlich will die niederländische Organisation «Mars One» die ersten vier Menschen auf den roten Planeten schicken, um ihn zu besiedeln.
Rückkehr ausgeschlossen
Acht Monate lang würde die Reise in einer 30 Quadratmeter kleinen Kapsel dauern. Schon während dieser Zeit müssten Steve Schild und die anderen drei Auswanderer mit kosmischer Strahlung in lebensbedrohlicher Dosis rechnen. Auf dem Mars würden die vier Astronauten Durchschnittstemperaturen von minus 53 Grad Celsius erwarten. Sie müssten in einem Spezialcontainer leben unter meterdickem Sand zum Schutz vor Strahlung und Sonnenstürmen. Spaziergänge im Freien wären nur in einem Raumanzug möglich. Nahrungsmittel müssten in Gewächshäusern erst einmal produziert werden. Eine Rückkehr zur Erde wäre aus technischen Gründen unmöglich.
Das Leben auf dem Mars würde von Beginn an ein Überlebenskampf sein, der kaum zu gewinnen wäre. Und trotzdem beteuert dieser Steve Schild, er möchte sich diesen Kindheitstraum um jeden Preis erfüllen. Er wolle dazu beitragen, die Menschheit weiterzubringen, indem er helfe, den roten Wüstenplaneten zu erforschen. Auch könnten wertvolle Metalle und andere Rohstoffe gefunden und abgebaut werden, spekuliert der Thurgauer. Er sei physisch topfit, psychisch belastbar und technisch versiert, sagt der Angestellte einer Personalvermittlungsagentur, der immer etwas gehetzt wirkt.
Zuerst im schwimmenden Rad über den Ärmelkanal
Weil das Marsprojekt noch weit entfernt ist, versucht Steve Schild die Aufmerksamkeit durch andere Projekte auf sich zu ziehen. So holte er sich den Weltmeistertitel im Wasser-Distanzrutschen – gemäss Schild «eine der härtesten Sportarten der Welt». In absehbarer Zeit will er in einem schwimmenden Rad aus Plexiglas den Ärmelkanal überqueren. Bei so viel Eifer stellt sich die Frage, ob sein Ehrgeiz auf dem Drang eines Selbstdarstellers basiert?
Steve Schild verneint diese Frage nicht. Er stehe gerne in der Öffentlichkeit, räumt er ein. Und würde er zu den vier Auserwählten zählen, die 2025 womöglich die 55 Millionen Kilometer lange Reise antreten, würde sein Name weltweit in aller Munde sein, denn das Ganze soll als Reality-Show im Fernsehen übertragen werden. Seine Chancen stehen gar nicht so schlecht, dabei sein zu können, wirft man einen Blick auf das bisherige Selektionsverfahren von «Mars One»: Rund 200‘000 Menschen aus 140 Ländern meldeten sich ursprünglich als mögliche Kandidaten an. Nach zwei Auswahlrunden – bei denen die Bewerber einen Fragebogen sowie einen Gesundheitscheck absolvieren mussten – sind es derzeit noch etwas mehr als 700 potentielle Auswanderer.
Steve Schild ist immer noch dabei. «Ich bin unkonventionell und habe Ideen und die Stärke dazu, diese auch durchzuziehen.» Zudem fühle er sich bereit, «einen der grössten Schritte der Menschheit zu vollziehen». Deshalb würde er seine Lebenspartnerin, die zwei Katzen, Vater, Mutter, Freunde, kurzum sein ganzes soziales Umfeld, ohne Wenn und Aber zurücklassen, sagt der Thurgauer.
Hoher Preis für die Erfüllung des Lebenstraums
Während der Dreharbeiten begann ich zu zweifeln, ob das, was er sagt, auch wirklich in allen Einzelheiten durchdacht ist. Ich lernte Steve Schild als sensiblen Menschen kennen. Ein romantischer Film kann ihn zu Tränen rühren. Sein Herz ist butterweich. Wenn er nun das Auswahlverfahren bis zuletzt überstehen würde und sich am Tag X von seiner Lebenspartnerin, Familie und Freunden verabschieden müsste, würde dann sein Lebenstraum noch immer stärker sein als alle Opfer, die er dafür erbringen müsste?
Könnte er die One-Way-Reise antreten mit dem Wissen, alles hinter sich zu lassen? Nie mehr würde er seine Liebsten umarmen können. Nie mehr könnte er den unverwechselbaren Duft von frisch gemähtem Gras einatmen. Auch könnte er nie mehr nach einem Bad im See spüren, wie seine Haut durch die Sonne getrocknet wird. Wären das Gedanken, die ihn beim Einsteigen in die Rakete durch den Kopf gehen würden? Vielleicht würde er dann einsehen, welchen Preis er für die Erfüllung seines Lebenstraums zu bezahlen hat? Vielleicht.
Die Antwort steht wohl noch in den Sternen. Ich jedenfalls kann mir nicht vorstellen, an solch einer Selbstmordmission je teilzunehmen. Nichts gegen einen Lebenstraum. Aber Lebensträume sind nur dann wunderbar, solange sie die Wirklichkeit nicht zerstören.