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Cédric hat seinen Besitz radikal minimalisiert
Aus DOK vom 06.09.2018.
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Minimalistischer Lebensstil Mit 64 Gegenständen durchs Leben

Sie minimieren ihren Lebensstil, weil sie das Maximum suchen. Sie fokussieren auf das Wesentliche. Während ein durchschnittlicher Haushalt über rund 10'000 Gegenstände verfügt, reduzieren Minimalisten ihre Habe auf wenige hundert Dinge.

Cédric Waldburger ist Minimalist. Er übt sich in Selbstbeschränkung und hat sich von allem unnötigen Besitz befreit. Der 30-Jährige will mit leichtem Gepäck durchs Leben gehen und hat deshalb nur noch gerade 64 Gegenstände. Selbst seine Wohnung hat er aufgegeben.

Alles was er besitzt, ist schwarz, und er verbringt nie mehr als drei Tage an einem Ort. Der digitale Nomade entwickelt Apps, um sein Leben und das seiner Kunden zu optimieren. Er ist international an verschiedenen Firmen und Projekten beteiligt und ständig unterwegs.

Waldburger lebt zwar minimalistisch, ist aber kein Aussteiger, sondern will Erfolg. Disziplin und Selbstoptimierung sind für ihn wichtige Werte. «Das Schöne ist, ich bin einfach extrem frei in meinem Leben», sagt er.

Bis anhin war Waldburger Single, doch nun hat er sich verliebt. Minimalistisches Leben zu zweit - geht das?

App-Entwickler und Minimalist: Cédric Waldburger besitzt nur noch 64 Gegenstände
Legende: App-Entwickler und Minimalist: Cédric Waldburger besitzt nur noch 64 Gegenstände SRF

Seine neue Freundin Elena Iwantschek optimiert Suchmaschinen. Im Gegensatz zu ihrem Freund besitzt sie eine Wohnung, und allein in ihrem Badezimmer stehen mehr Dinge als Cédric Waldburger im Ganzen besitzt. Trotzdem ist sie überzeugt von seinem Lebensstil.

Doch beiden ist klar: sollten sie dereinst eine Familie gründen, wird es wohl kompliziert werden mit den reduzierten Gegenständen. Noch allerdings sind die beiden ständig unterwegs. Sie treffen sich in Bali, Berlin oder sonst irgendwo auf der Welt in Hotels oder Mietwohnungen. Dort wo sie jeweils ihre Geschäftstermine haben.

Dass die Vielfliegerei nicht unbedingt einem minimalistischen Lebenskonzept entspricht, dessen ist sich Cédric Waldburger bewusst: «Ich versuche aber im Gegenzug mit meinem reduzierten Lebensstil im Alltag, meinen ökologischen Fussabdruck zu verkleinern.»

Der Aufräumcoach

Der 40-jährige Selim Tolga hat seine Spielsachen schon als Kind nach Farben sortiert, und er liebte es aufzuräumen. Heute ist daraus sein Business geworden. Der Überfluss seiner Kunden ist sein Glück. Denn als Aufräumcoach hilft er Menschen, ihre Wohnungen auszumisten.

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Aufräumcoach Selim Tolga hilft Ute Ruf beim Ausmisten
Aus DOK vom 06.09.2018.
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«Andere nehmen sich einen Psychiater, ich leiste mir den Aufräumcoach», sagt seine Kundin Ute Ruf. Die ehemalige Lehrerin und Autorin hat in ihrem Leben unzählige Sachen gesammelt und freut sich über das Glücksgefühl nach dem Aufräumen und Entsorgen von überflüssig gewordenen Gegenständen. Pro Stunde investiert sie dafür rund 90 Franken.

«Minimalismus hilft bei Besitz und bei Gedanken Grenzen zu ziehen, damit man sich von unnötigem Ballast befreien kann», sagt Selim Tolga. Bei seiner Kundschaft erkennt er häufig ähnliche Muster. Viele überfordern sich mit der ausschliesslichen Besitzreduktion und vergessen, dass auch im Kopf aufgeräumt werden muss. Erst dann fühle man sich frei und unbeschwert.

Tipps vom Aufräumcoach

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Tipps vom Aufräumcoach
  • Je weniger man besitzt, desto weniger muss aufgeräumt werden - nur 20 Prozent von 10'000 Gegenständen, die man durchschnittlich besitzt, sind auch tatsächlich im Einsatz
  • Praktische Plätze definieren, und die Dinge nach Gebrauch auch dorthin zurücklegen
  • Beim Ausmisten nicht fragen «Was kann weg?» sondern, «Was bringt wirklich einen Mehrwert in meinem Leben?»
  • « Aber vielleicht brauche ich das noch einmal»: Diese Einstellung geht meistens auf Kosten der Gegenwart. Bis jetzt hat man es ja auch nicht gebraucht. Die damit gewonnene Freiheit fühlt sich besser an, als für den unwahrscheinlichen Fall vorbereitet zu sein
  • «Aber es hat Geld gekostet»: Ja, aber Aufbewahren kostet auch (Raum, Energie, Zeit, Pflege). Die gewonnene Freiheit fühlt sich besser an, als dass das eventuell verlorene Geld schmerzen würde
  • «Es war ein Geschenk»: Sinn und Zweck eines Geschenkes ist es, dem Schenker eine Freude zu bereiten. Danach kann man mit dem Geschenk machen, was man will. Ansonsten ist es kein Geschenk, sondern ein Deal: «Ich schenke dir mein Teeset, und dafür behältst du es bis ans Lebensende im Wohnzimmerschrank»
  • Ausmisten muss man auch im Kopf. Zuviele Wünsche, Projekte, Ziele verursachen genau so ein Chaos, wie die physische Unordnung. Die richtige Fragestellung dazu: «Was ist meine Mission, welche Werte sind mir wichtig?»

Tolga erhält sehr viele Anfragen von Menschen, die gerne Ordnung hätten aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen.Es falle den Kunden leichter, Dinge loszulassen, wenn sie dabei von jemandem unterstützt würden.

Wohnen im Schneckenhaus

Tanja Schindler hat sich entschieden loszulassen. Die Baubiologin lebt nur noch auf 35m2 und kann mit ihrem Oeko-Mini-Haus, das sie selbst entworfen hat, jederzeit umziehen. Sie findet den minimalistischen Lebenstil eine gute Alternative zum oft krankmachenden Überfluss.

«Wir sind die erste Generation, die alles hat, und wir haben gemerkt, dass uns das nicht glücklich macht», sagt die Mutter von zwei Kindern. Als sie nach der Trennung aus dem gemeinsamen Haus auszog, behielt sie nur Gegenstände, die ihr wirklich sehr am Herzen liegen. Sie besitzt nur noch ein Velo und längst schon kein Auto mehr. Und sie legt Wert auf natürliche Materialien.

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Tanja Schindler wohnt auf kleinstem Raum
Aus DOK vom 06.09.2018.
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Statussymbole haben für viele ihre Kraft verloren. Das Bedürfnis, sich von Unnützem zu befreien, kennen deshalb immer mehr Menschen in den Industrieländern. Sie leiden an zu viel Information, an zu vielen Dingen und an zu wenig Zeit fürs Wesentliche.

Wir kaufen mehr als wir brauchen. Wir verzetteln uns, wir verlieren den Fokus. Shoppen als Freizeitbeschäftigung macht auf Dauer nicht glücklich, ist eine Übersprungshandlung, die letztendlich auch auf Ausbeutung von Drittweltländern basiert. Alternativen sind gefragt.

Der Trend zum minimalistischen Lebensstil offenbart die Sehnsucht nach mehr Einfachheit und Einordnung in einer immer weniger überschaubaren Welt.

Ob die Reduktion von Besitz und das gezielte Aufräumen allerdings gegen Orientierungslosigkeit helfen, stellt Paolo Bianchi in Frage. Er ist Dozent für Querdenken an der Zürcher Hochschule der Künste. «Nur weil wir unsere Hemden plötzlich zu Würsten rollen, wird die Welt nicht übersichtlicher.» Er sieht im Trend eher eine Beruhigungspille, die hilft, von der komplizierten Welt abzulenken.

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«Die Frage ist, ob Minimalismus eher eine Ersatzhandlung ist»
Aus DOK vom 06.09.2018.
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Keine Sorge sagt Selim Tolga, der Aufräumcoach: «Auch die spontane Unordnung habe Platz im Minimalismus. Aber nicht das Erdrückende und Zeitraubende. Man solle sich einfach nur mit Dingen umgeben, die schön und wichtig für einen sind, und die uns im besten Fall glücklich machen.

Der DOK-Film zum Thema

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Weniger ist mehr – minimalistisch leben
Aus DOK vom 25.08.2019.
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