Vor Beginn der Filmaufnahmen hatte ich Viola Amherd nur ein einziges Mal getroffen. Bei einem Tennis Plauschdoppel auf der Bettmeralp, Mitte der achtziger Jahre, waren wir per Los zu einem Team geworden. Als 14-Jähriger durfte ich also mit der 23-jährigen Studentin spielen, die damals als eine der besten Tennisspielerinnen der Region galt. Das Turnier haben andere gewonnen. Doch die damalige Jusstudentin und spätere Bundesrätin ist mir in guter Erinnerung geblieben. Elegant und sportlich mit langem, gewelltem Haar und weissem Stirnband.
Mehr als drei Jahrzehnte später wird aus meiner einstigen Doppelpartnerin die erste Frau an der Spitze der Schweizer Armee. Da entstand die Idee zum Film. Ich wollte beobachten, wie sich Viola Amherd in ihr neues Amt einarbeitet. Zumal sie in ihrer politischen Karriere kaum Berührungspunkte mit dem VBS hatte und sagt, in jungen Jahren sei sie armee-kritisch gewesen, weil sie den Sinn nicht so recht gesehen habe. Und ja, ich wollte den Menschen hinter der Verteidigungsministerin näher kennen lernen.
Die Walliserin startete recht zügig ins neue Amt. Mit bildstarken Auftritten wie dem Besuch des World Economic Forum (WEF) in Davos per Helikopter, notabene geflogen von einer dreiköpfigen Frauencrew. Symbole zählen. Schon bei den ersten Interviews und Auftritten wird aber auch klar: Die grossen Umbrüche und radikalen Änderungen wird es mit ihr nicht geben im VBS.
Werbeträger für neue Kampfjets
Einen Coup landete sie im Frühling 2019 in Zusammenhang mit der Beschaffung von neuen Kampfjets für die Schweiz. Auf ihrem Tisch lag zwar bereits der Bericht der Luftwaffe, in dem unter anderem die neuen Jets verlangt wurden. Aber dieser Bericht stammte noch aus der Zeit ihres Vorgängers Guy Parmelin. Darum gab Amherd bekannt, sie wolle einen Zusatzbericht von einer kompetenten, aber unabhängigen Person. Wer denn wohl dieser Superheld sein solle, schrieb damals ein Kommentator.
Amherd fand ihn: Claude Nicollier – Schweizer Astronaut, Nationalheld («Freude herrscht Monsieur Nicollier») und ehemaliger Kampfjet-Pilot. Aber weil das schon mehr als drei Jahrzehnte zurück lag, galt er als genug weit weg von der Armee. Viel Neues oder sogar Kritisches brachte Nicollier dann nicht vor – aber Amherd hatte mit ihm einen überzeugenden Werbeträger.
Führungsteam mit Walliser Weggefährten
Eine recht offene Kommunikation scheint von Beginn weg Teil ihrer Strategie zu sein. «Ich hätte ihr es nicht zugetraut, dass sie so pfeifengerade durch die Decke startet», sagt der Chefredaktor des Lokalradios Radio Rottu Oberwallis Michel Venetz im August 2019. Sie sei stark in den Medien präsent und könne oft die Themen selber setzen. Das sei nicht zuletzt das Verdienst ihrer sehr erfahrenen persönlichen Beraterin Brigitte Hauser und von Kommunikationschef Renato Kalbermatten. Beides Walliser Weggefährten. Wie nicht wenige in Amherds Führungsteam.
Im Parlament hatte sich Amherd den Ruf einer gewieften Strippenzieherin erworben. Auch als Bundesrätin setzt sie auf ihr Sensorium für Mehrheiten. So erzählt sie auf einer Autofahrt, sie werde in Bern in ihrer neuen Wohnung immer wieder mal während der Session Parlamentarier zu sich heim zum Nachtessen einladen, zum Beispiel aus der Sicherheitspolitischen Kommission SIK oder auch andere. «Diese Leute braucht man. Und es ist wichtig, ihre Meinungen zu hören.»
Botschafterin für eine neue Rolle der Armee
Die Sicherheit ist ein breites Gebiet. Die (bewaffneten) Konflikte ändern sich. Gegen Cyberattacken, Spionage aber auch zunehmende Naturkatastrophen soll die Armee gerüstet sein – doch gleichzeitig auch Boden und Luft gegen traditionelle Gefahren schützen. Das muss Amherd bei ihren Auftritten immer wieder erklären. Sie tut das auch bei einer Gondelbahn-Fahrt aufs Bettmerhorn, wo sie zufällig mit einem Armeebefürworter und einem Kritiker in der gleichen Gondel sitzt. Solche Begegnungen seien in der Schweiz Gott sei Dank noch möglich, meint die Bundesrätin.
Verzicht auf Pathos
Es gab auch emotionale Momente in diesen ersten zwei Jahren. Zum Beispiel im Zusammenhang mit der aufwändigen und gefährlichen Räumung des Munitionslagers Mitholz im Berner Oberland und der notwendigen Umsiedlung der Menschen vor Ort.
Ich überlege mir nicht, ob Sätze von mir in die Geschichte eingehen.
Oder dann, völlig unerwartet, der Einsatz im Kampf gegen das Corona-Virus. Die grösste Armee-Mobilmachung der Schweizer Armee seit dem Zweiten Weltkrieg. Trotz der Bedeutung solcher Ereignisse, verzichtet sie auf Pathos in ihren Reden. «Ich überlege mir nicht, ob Sätze von mir in die Geschichte eingehen.»
Ich konnte die Bundesrätin auch an den einen oder anderen gesellschaftlichen Anlass begleiteten. Bei der 1. August Feier im Goms oder beim Skifahren im Aletschgebiet. Dabei überraschte es mich zu sehen, dass die als eher zurückhaltend und unscheinbar geltende, das Bad in der Menge und die Nähe zu den Menschen durchaus auch geniessen kann.
Und doch habe ich in den zwei Jahren auch klar Grenzen gespürt, die sie sich wohl einst gesetzt hat und woran sie festhält. Gerne hätte ich in Gesprächen ohne Kamera noch mehr über sie als Mensch erfahren, gerne tiefer in ihre Seele geschaut.
Aber mir wurde bald klar: Das ist nicht erwünscht. Am Abstimmungstag für oder gegen den neuen Kampfjet durfte ich Viola Amherd auch nicht begleiten. Vielleicht ahnte sie, wie knapp es werden würde.
Privates bleibt privat
Wenig bekannt, bleibt denn auch ihr Privatleben. Sie ist die einzige Single im Bundesrat. Auf Fragen nach Einsamkeit, Freizeit oder Familienleben hat sie seit Jahren ein Repertoire an Antworten bereit. Der Tenor: «Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben. Mir geht es gut.» Sie habe ihre Schwester, ihre Nichte, einen guten Freundeskreis. Gefragt, ob sie offen sei für eine Beziehung, meinte sie: «Je älter man wird, umso mehr nehmen auch die Eigenarten zu. Darum strebe ich das nicht an.»
Insgesamt ist die erste Verteidigungsministerin der Schweiz erfolgreich in ihr Amt gestartet. Im Volk beliebt, wie die Umfragen zeigen, im Parlament mit gutem Rückhalt. Sie hatte aber auch grosses Glück bei der Kampfjet-Abstimmung. Ein «Nein» hätte alles andere in den Schatten gestellt.