Der eine heisst Patrik Gerber, ist Mitte 20 und studiert an der Uni Bern Medizin. Der andere heisst William Kopsho, ist Ende 60 und wartet in den USA auf seine Hinrichtung. Was sie verbindet: eine Brieffreundschaft.
Zufälligerweise habe er in einer Bibliothek gelesen, dass es einen Verein gebe, der Kontakte zu Gefangenen in den USA vermittle, erinnert sich Gerber. Das habe ihn interessiert und es sei eine Möglichkeit gewesen, sich sozial zu engagieren, was er sowieso vorgehabt habe. Das war 2016. Seither habe sich eine tiefe Freundschaft entwickelt, sagen Gerber und Kopsho.
Eine schreckliche Tat
Kopsho ist ein rechtskräftig verurteilter Mörder. Er brachte im Jahr 2000 seine Frau um. An jenem 27. Oktober sei es zu einem heftigen Streit gekommen, sagte er bei seiner Verhandlung. Seine Frau sei aus dem Auto gesprungen und weggerannt.
Ich will, dass alle wissen, dass ich meine Tat sehr bereue.
Er habe einen Warnschuss abgeben wollen, damit sie stehen bleibe, habe sie aber in den Rücken getroffen. Als er bei der Verletzten angekommen sei, habe diese gesagt, er solle sie umbringen. Er habe zwei weitere Male auf sie geschossen und sie getötet. Anschliessend habe er versucht, sich selbst umzubringen, aber eine Patrone habe sich verklemmt, die Waffe nicht mehr funktioniert. Schliesslich habe er 911 gewählt: die amerikanische Notrufnummer. Soweit Kopshos Schilderungen vor Gericht, wo seine Tat als «first degree murder» qualifiziert wurde: Auf Deutsch spricht man schlicht von Mord.
Seit dem Mord an seiner Frau sitzt Kopsho im Bundesstaat Florida im Gefängnis. Ein sympathisch wirkender älterer Herr, der mit sanfter Stimme spricht – wer es nicht wüsste, käme nicht auf die Idee, dass es sich um einen Mörder handelt.
Kopsho ringt nach Worten, wenn er die damaligen Ereignisse aus heutiger Sicht erklären soll. «Ich will, dass alle wissen, dass ich meine Tat sehr bereue», sagt er. Er schäme sich dafür, dass er so vielen Menschen so viel Schmerz und Leid zugefügt habe.
Viele werden religiös in der Todeszelle
Die Hinwendung zum Glauben, vor allem zum christlichen, sei verbreitet unter Menschen, die in der Todeszelle sitzen, erzählen verschiedene Brieffreundinnen und Brieffreunde aus der Schweiz. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen – etwa den Wunsch nach Vergebung nach einem Tötungsdelikt, oder das Bedürfnis nach Halt beim Weiterleben und Warten auf die eigene Hinrichtung, was der christliche Glaube offenbar vielen bieten kann.
Auch William Kopsho wurde nach seiner Verhaftung sehr religiös. Darum hatte er zunächst Mühe, als ihm Patrik Gerber schrieb, er sei homosexuell. Er rate ihm dringend vom Schwulsein ab, antwortete Kopsho sinngemäss, Gerber solle sich doch ernsthaft überlegen, heterosexuell zu leben.
Dies irritierte Gerber. Tatsache sei: Niemand wähle seine sexuelle Orientierung. Bis zu seinem Coming-out sei es ein langer und nicht immer einfacher Prozess gewesen. Darum habe er Mühe mit solchen Aussagen. Dies wiederum leuchtete Kopsho ein.
Den Dialog zwischen drinnen und draussen fördern
Den Verein Lifespark gibt es seit 1993. Bis heute wurden über 2000 Brieffreundschaften zu Menschen in der Todeszelle vermittelt. Man sei eine Non-Profit-Organisation, heisst es auf der Website, weder religiös noch politisch, aber klar gegen die Todesstrafe: Es sei «eine grausame Strafe, welche die Menschenrechte verletzt».
Viele Bundesstaaten in den USA verhängen keine Todesurteile mehr, andere vollstrecken sie nicht mehr. Etwa in Texas oder Arizona wurden indes auch in diesem Jahr Menschen hingerichtet.
Das bedeutet nicht, dass wir die Verbrechen akzeptieren.
Brieffreundschaften sollen Menschen im Todestrakt soziale Kontakte ermöglichen. Diese Menschen leben nach ihrem Urteil oft noch Jahrzehnte in kleinsten Zellen, haben jenseits der Mauern häufig niemanden mehr. Der Austausch mit einer Brieffreundin oder einem Brieffreund soll dies ändern und zudem den Dialog zwischen jenen drinnen und jenen draussen fördern, schreibt der Verein. Und weiter: «Das bedeutet nicht, dass wir die Verbrechen akzeptieren.»
Das Angebot ist offenbar gefragt bei Gefangenen: Es existieren lange Wartelisten. Wer sich heute einträgt, muss bis zu zwei Jahre warten, bis ihm jemand schreibt.
Zeugin bei einer Exekution
Wenn ein Kontakt entsteht, dann mehrheitlich zwischen einer freien Frau und einem gefangenen Mann. Die Mehrheit der Mitglieder von Lifespark sind weiblich. Über die Gründe kann der Verein nur spekulieren. Klar ist: Es entstehen immer wieder tiefe Freundschaften, selten sogar Liebe – im Wissen darum, dass die Hinrichtung irgendwann vollstreckt wird.
Trotzdem öffnen sich viele einem Menschen in der Todeszelle, einem, der getötet hat, lassen ihn zu einem wichtigen Teil ihres Lebens werden. Wenn irgendwann ein Datum feststeht, dürfen diejenigen, die sterben müssen, Menschen, die ihnen nahestehen, einladen, als Zeugen anwesend zu sein.
Die St. Gallerin Angela Heeb reiste extra nach Texas, um durch eine Glasscheibe mit anzusehen, wie ihrem Brieffreund Dale die Giftspritze verabreicht wurde. Vorher und nachher habe sie intensive Gefühle der Trauer durchlebt, erinnert sie sich, währenddessen sei sie wie in einem Schockzustand gewesen.
«Durch ihn fühle ich mich frei»
Worüber spricht man mit jemandem, der auf seine Hinrichtung wartet? Es sei wie immer bei neuen Bekanntschaften, sagt Patrik Gerber: «Man lernt sich zuerst kennen.» Woher man komme, wer man sei, wohin man wolle. Dann gehe es natürlich um die Tat, darum, wie es so weit kommen konnte, dass der Brieffreund einem oder mehreren Menschen das Leben genommen hat.
Und schliesslich? «Um meinen und seinen Alltag.» Prüfungsstress im Studium beschäftigt den einen, die bevorstehende Exekution den anderen. Bei solchen Brieffreundschaften prallen Welten aufeinander. Er habe sich bald gefragt, wie das bei William Kopsho ankomme, wenn er ihm von seinen oft banalen Sorgen schreibe, erinnert sich Gerber, ob der nicht den Kopf schüttle und denke: «Deine Probleme möchte ich haben.» Aber Kopsho habe ihm versichert, dass er seine Briefe sehr schätze, gerade auch das Alltägliche interessiere ihn.
Gerber sei für ihn eine Art Fenster zum Leben in Freiheit, das er seit Jahrzehnten nicht mehr selbst leben könne. «Durch ihn fühle ich mich zwischendurch wie ein freier Mann», sagt Kopsho, «zumindest in meinem Geist».